"Take care about the inside, but don't mess with the outside!" Das ist nicht etwa ein Appell an eine oberflächliche Gesellschaft, innere Werten aufzubauen, anstatt Schönheits-OPs nachzujagen. Dies ist eine grobe Beschreibung der Bauvorschriften für das French Quarter in New Orleans ("NOLA"): Wer hier Eigentum kauft, muss sicherstellen, dass die Außenfassade ihren ursprünglichen Look beibehält. Auf diese Weise soll das "Vieux Carré" auch als solches erhalten bleiben. Und tatsächlich versprüht das älteste Pflaster in New Orleans mit seinen über 100 Jahre alten Fassaden und Häusern und seinen zahlreichen Kunst- und Vintage-Läden den Charme der "good old times". Die Heimatstadt von Louis Armstrong ist vor allem für ihre Blue Notes bekannt. Die herzliche Begrüßung durch die Hostel-Mitarbeiterin "Singing Vanessa" verläuft deshalb auch stilecht trällernd ab. Das French Quarter quillt förmlich über vor Musik. Aus jeder Bar schwappt bereits ab dem Vormittag Live-Jazz, -Blues, -Dixie, -Swing, -Brass. Auch Hip-Hop, Funk und Rock, Violinen, Banjos und Stepptanz finden auf den Straßen und bei Open-Mic-Sessions ein Ventil. Für eine Woche ist Musik alles, was mein Herz begehrt, und somit erkläre ich das French Quarter in dieser Zeit zu meiner Haupt-Wirkungsstätte: Die Großstadt schrumpft auf eine kleine Nachbarschaft zusammen. Jeden Tag lasse ich mich auf einer Seite des Viertels einsaugen und auf der andere Seite wieder ausspucken. In der Zwischenzeit werde ich musikalisch kräftig geschüttelt und gerührt. Absolutes Weggeh-Highlight ist die Frenchmen Street. Hier befinden sich auf engem Raum fantastische, authentische Musikbars, die gerne auch von Einheimischen besucht werden. So bunt wie die Musik, ist das Publikum. So treffe ich zum Beispiel in "The Spotted Cat" auf der Tanzfläche auf eine 85-jährige, 1,50 Meter große, tanzende Omi mit hochgestecktem grauen Haar und Hornbrille. Sie ist wohl an diesem Morgen aufgewacht, hat ihre Ausgeh-Birkenstock-Schuhe rausgekramt und sich gedacht: 'Heute rocke ich mal den Dancefloor!' Ganz klar, wer an diesem Abend beim Brass-Konzert den Ton angibt. Einen kleinen Bogen mache ich hingegen um die Bourbon Street. Hier trifft sich das junge Partyvolk, um ganz schnell ganz viel Alkohol aus ganz schön großen, bunten Plastikmonstern zu bechern. In New Orleans dürfen auf der Straße Bier, Shots, Cocktails und Co. getrunken werden. Wo das endet - besonders zu Mardi Gras und zur Spring Break - ist ja wohl klar: Die ganze amerikanische Bilderbuch-Moral geht den Bach runter und wird in den Gulli gekotzt. Sodom und Gomorra haben im French Quarter ja auch eine gewisse Tradition. Dennoch - oder gerade deshalb - finden sich an jeder Straßenecke und in den Straßenbahnen Vertreter von Zucht und Ordnung mit zum Teil menschengroßen Kreuzen, die lautstark aus der Bibel zitieren. Und wem Religion nix taugt, der kann es ja mal mit Voodoo probieren. Die in New Orleans geborene Marie Laveau kreierte im 19. Jahrhundert eine Mischform aus Voodoo und Katholizismus als neuen Trend-Aberglauben. Ihre Shows waren damals schwer angesagt. Und noch heute kann man kleine Puppen mit Knopfaugen und Nadel im Herzen an jeder Straßenecke günstig erstehen. Apropos Nadel im Herz: Bratt Pitt ließ sich vor vielen Jahren bei den Dreharbeiten zu "Interview mit einem Vampir" im French Quarter mit einem Pflock durchs erkaltete Herz ordentlich aufspießen. Auch im übertragenen Sinne hat er zu dieser Zeit sein Herz an das French Quarter verloren und sich dort ein Haus gekauft. Klar ist: Auch er muss sich an die Bauvorschriften halten - da macht NOLA keine Ausnahme! Einzig das Klingelschild "Mr. und Mrs. Pitt" durfte er abschrauben.
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Michael Nessel (Donnerstag, 24 März 2016 10:40)
Toller Bericht. Bin im Juli in New Orleans und werde die Frenchmenstr besuchen. Hast du noch mehr tipps? Lg, michael