Ich bin in den letzten Monaten wirklich viel Bus gefahren. In Süd- und Mittelamerika alleine habe ich es auf rund 8.500 Kilometer in Fernbussen gebracht. Kleinkram nicht dazugezählt. Ich bin gerne mit dem Bus unterwegs, denn dadurch kann ich das Ausmaß eines Landes besser "erfahren" und es bringt mich der Bevölkerung näher. Aber genau darauf, so lerne ich in den USA, muss man vorbereitet sein. Für meinen Abstecher von New Orleans nach Austin buche ich ein Hin- und Rückticket mit dem Greyhound-Bus. Die Aussicht auf 11 Stunden Nachtfahrt entlockt mir höchstens ein müdes Lächeln. Bei meinem ersten USA-Aufenthalt vor knapp 20 Jahren bin ich auch Greyhound gefahren. Als ich abends an der Busstation in New Orleans eintreffe, habe ich das Gefühl, dass die Busse seitdem auch nicht ausgetauscht wurden. Der eigentliche Reality Bite kommt allerdings erst, als ich sehe, wer sich mit mir für die Busfahrt aufreiht. Es sind Menschen ohne Schuhe. Die Hände voll Plastiktüten mit Müll darin. Arme und Beine in schmutzigen Bandagen. Kaum einer, der nicht hinkt. Kleidung mit eingetrockneten Körperflüssigkeiten jeder Art. Dementsprechend ist der Gestank. Viele, die einsteigen, sind verwirrt, betrunken, wahrscheinlich auch voll mit härteren Drogen. Sie sind verletzt, krank, reden mit sich selbst oder versuchen, lautstark eine Diskussion anzufangen. Dem allgemeinen Zustand der Passagiere nach zu urteilen, sollte der Bus besser nicht nach Austin, sondern zur nächsten Notaufnahme fahren. Ich komme mir ziemlich fehl am Platz vor und isolierter als in vielen andere fremden Ländern, in denen ich bereits gereist bin. Ich steige ein. Ich setze mich und ziehe meine Kapuze über den Kopf, damit ich das viele harte Husten nicht direkt im Nacken spüre. Klar, in den USA hat jeder "normale" Mensch mindestens ein Auto. Strecken bis 400 Meilen werden "by car" bestritten. Ansonsten nimmt man das Flugzeug. Der Bus ist für die ganz Armen da. Arme Menschen habe ich schon in vielen Ländern gesehen. Aber, was ich hier erlebe, ist nicht arm, sondern erbärmlich. Für viele dieser Menschen besteht im Land der Möglichkeiten wohl keine Chance auf Hilfe. Im vorderen Teil des Busses wird es laut. Ein Mann mit hochgezogenem Hosenbein und Wunde an der Wade, klappt auf der Stufe beim Einsteigen in den Bus zusammen. Er lässt sich einfach fallen und bewegt sich nicht mehr. Seine Kleidung ist voll mit eingetrockneten Körperflüssigkeiten. Und auch als er sich zwischen Fahrersitz und Eingang verkeilt, lässt er es laufen. Er ist bei Bewusstsein, aber reagiert nicht auf die Worte des Busfahrers, der behutsam, aber eindringlich minutenlang auf den Zusammengebrochenen einredet. Nach und nach kommen weitere Fahrgäste nach vorne, ziehen sich sterile Handschuhe an und versuchen dabei zu helfen, den Fahrgast vom Aussteigen zu überzeugen. Doch niemand traut sich, den halb verdreht liegenden Mann zu bewegen. Ich höre, wie hinter mir einer sagt: "Ich würde helfen, aber wenn wir den raustragen und es passiert was, er verletzt sich, dann sind wir dran. Dann ham wir ne fette Klage am Hals." Erste Hilfe schwer gemacht. Also werden Ambulanz und Feuerwehr gerufen. Nach 45 Minuten auf der Busstufe befreien sie den Mann aus seinem misslichen Liegen, wohl aber nicht aus seiner allgemeinen misslichen Lage. Die USA sind ja nicht gerade für ihre medizinische und soziale Versorgung berühmt. Wie es mit ihm oder mit anderen in seiner Lage weitergehen wird, wer weiß das schon. Vielleicht interessiert es den Nächsten oder die Nächste im Weißen Haus. Hey, Mr. / Mrs. President … come take a Greyhound ride with me …
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Frank (Freitag, 11 März 2016 17:14)
Das war die dunkle Seite des Lernens / der Macht - soll auch dazu gehören hab ich gehört.
Ende gut, alles gut - Hauptsache Du bist unversehrt in Texas angekommen
Jetzt kann die Reise nach dem Prinzessinenmotto weitergehen:
Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, Weitergehen!
Natalie (Sonntag, 13 März 2016 17:38)
Should pass your blog to Mr. Trump himself.
Micha (Mittwoch, 16 März 2016 18:52)
Umph. Hört sich ziemlich übel an...