Der Süden der USA ist schon ganz schön … amerikanisch. Okay, das ist jetzt nicht wirklich überraschend, aber viele Situationen überrumpeln mich, seitdem ich hier bin. Ich spreche die Sprache, ich kenne den Standard, und dennoch sind die Werte und das Leben so komplett anders. Same, same, but different. Wenn schon amerikanisch, denn schon amerikanisch, denke ich mir und verbringe ein paar Tage in Austin, Texas, um zwei neue Freunde, die ich in Patagonien kennengelernt habe, zu besuchen. Und was ist das Amerikanischste, das man an einem Samstagvormittag so machen kann …? Shoot a gun. Ich staune nicht schlecht, als mein Gastgeber in Austin erzählt: "Ja klar, ich hab' drei Pistolen. Eine im Auto, zwei bei mir zu Hause. Wieso? Willst Du mal schießen gehen?" Wir machen uns auf den Weg zur Shooting Range. Sieben Tage die Woche geöffnet. Auf dem Parkplatz wird mir bereits mulmig. So viele Autos. Das heißt, so viele Menschen sind jetzt in diesem Gebäude mit ihren Waffen und üben, tja, wofür? Für den Ernstfall. Zur Selbstverteidigung. Zum Spaß. Der eine oder andere "Weapon Freak" ist schon dabei, bestätigt mein amerikanischer Freund. Mit drei Pistolen im Jutebeutel schlendern wir über den Parkplatz. Bei der Anmeldung am Schalter des Waffenladens versuche ich ruhig zu wirken und warte auf Instruktionen. Ein Mitarbeiter der Shooting Range fragt mich: "Hast Du schon mal geschossen". Ich: "No." Gespräch beendet. Keine ID-Kontrolle. Kein Background-Check. Keine Einweisung. Schließlich versichert mein Freund, dass er weiß, wie es geht. Mit Ohrenschutz, Sicherheitsbrille, ordentlich Munition und null Ahnung geht es durch eine Schleuse auf den Schießstand. Der Geruch des Schießpulvers, die lauten Explosionen der Kugeln und die Druckwellen bei jedem Schuss lassen mich die Luft anhalten. Ich glaube nicht, dass ich das machen kann. Hier stehen 20 bewaffnete fremde Menschen zwischen 15 und 60 in einem Raum. Ihre Pistolen bewahren sie daheim in der Sockenschublade oder neben dem Brandy auf. Einen Safe muss der Käufer einer Waffe in Austin nicht nachweisen. Genauso wenig wie seine allgemeine Zurechnungsfähigkeit. Und dann heißt es: vorgetreten. Waffe selbst laden. Das Papier mit Zielscheibe in Form eines menschlichen Oberkörpers pendelt sich in 7 Metern Entfernung ein. Ich wundere mich, dass es sich beruhigender anfühlt, die Waffe selbst in der Hand zu halten, als hinter einem Schützen zu stehen. Das Zittern, das beim Laden der Waffe noch deutlich spürbar war, ist weg. Alles fühlt sich sehr unwirklich an. Schlussendlich schieße ich. Die Bilanz: erster Schuss - Bull's Eye, zweiter Schuss - Daumen am zurückschnellenden Kolben gequetscht. Es blutet, aber ich spüre nichts, da ich (noch ganze 3 Stunden) bis zum Anschlag mit Adrenalin vollgepumpt bin. Mir reicht das erstmal. Ungläubig bis hin zu verständnislos sehe ich meinem Gastgeber dabei zu, wie er das restliche Magazin leerballert. Ich reise, um zu beobachten und nicht, um zu beurteilen. Bei solchen Erfahrungen fällt es aber doch schwer, das mitteleuropäische Wertesystem und Moral- bzw. "Normal-"Vorstellungen außen vor zu lassen. Es bleibt für mich unbegreiflich, dass der Besitz von Waffen in Texas per Verfassung für jeden ab 18 erlaubt ist. Wenn man die Entwicklung der derzeitigen Muppet Show im US-Fernsehen verfolgt - formerly known as Präsidentschaftswahl oder auch gerne bezeichnet als Wahl zum "Leader of the Free World" - kann man wohl kaum darauf setzen, dass mit dem Schießen irgendwann Schluss sein wird. Ich hoffe trotzdem, dass der eine oder andere Kandidat noch mit Pauken und "Trump-eten" untergehen wird. Aber das Prinzip Hoffnung hat in Deutschland bei den Wahlen ja leider auch nicht gerade hingehauen.
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Frank (Mittwoch, 23 März 2016 10:53)
Das mit dem Daumen ist blöd, passiert aber jedem mal.... Und direkt ein Bull Eye - super gemacht!