Was tun, wenn man einem Bären begegnet? Der kanadische Ranger empfiehlt: Regel #1: Das Tier nicht erschrecken - ja klar, sorum wird ein Schuh drauß; Regel #2: Nicht wegrennen und nicht totstellen - zu gut Deutsch: Instinkte ignorieren; Regel #3: Kontrollierter Rückzug: Das heißt, sich groß machen, mit ruhiger, fester Stimme auf den Bären einreden und gleichzeitig langsam verduften - dabei am besten noch darauf achten, dass man nicht dem nächstbesten Cougar (kanadischer Puma) in die Klauen gerät. Als Bürgerin eines Landes, in dem schon ein einziger Meister Petz als Problembär angesehen wird, nehme ich solche Survival-Tipps natürlich ernst. Zugegeben, habe ich doch ein leicht flaues Gefühl bei meinen ersten Joggingrunden und Wanderungen durch die dichten Wälder von Vancouver Island. Erwähnte ich bereits die Wölfe …? Deshalb mache ich es sicherheitshalber wie die Marines und hoppel' singend durchs Gehölz. Schon die Bustour über Vancouver Island in das entlegene Tofino zeigt, wie viel Holz es hier vor jeder Hütte gibt. Die Fahrt führt durch Regenwälder und vermooste Mischwälder, die stark ans Fichtelgebirge erinnern. Aus dem Unterholz lugen hier und da riesengroße Anwesen mit luxuriösen Blockhäusern hervor, die sich harmonisch in den Wald eingliedern. Hinter jedem Baum ein Traumhaus. Neben dem Busfahren kann man sich in Kanada auch gut auf alternative Reisemethoden verlassen. Zum Beispiel auf Wasserflugzeuge, die viele entlegene Inseln und abgelegene Orte Kanadas miteinander verbinden. Oder aufs Hitch-Hiking. Meinen ersten kostenlosen "Ride" bekomme ich von einem netten kanadischen Ehepaar bereits auf der Fähre nach Vancouver Island angeboten. In Tofino angekommen legt der Frühling erst einmal eine Verschnaufpause ein. Für rund 48 Stunden widmet sich der Himmel in Sisyphos-Manier der Aufgabe, den Meeresspiegel zum Ansteigen zu bewegen. Ich tue mein bestes, um dieses verrückte Vorhaben zu unterstützen, indem ich mich jeden Tag in die eisigen Fluten des Fjords stürze. Doch am Ende gewinnt immer die Ebbe. Vom Panoramafenster des Hostels aus beobachte ich Weißkopfseeadler, Kolibris und Otter und Robben, die sich vergnügt durchs Wasser treiben lassen. Mit viel Glück kann man direkt vor Tofinos Tür auch Orkas oder Buckelwale sichten, denn vor Kanadas Küsten haben sich einige Familien dieser Meeresriesen fest eingemietet. Auch in Tofino wird mir wieder einmal bewusst, wie wichtig ein bisschen Langeweile im Leben ist. Vor allem an einem so schönen Ort in unberührter Natur ist Sich-Langeweilen mitunter so spannend, dass ich mich gar nicht davon losreißen kann. Am dritten Tag kommt dann die Sonne nach Tofino zurück und mit ihr meine Lust, die Gegend weiter zu erkunden. Mit einem "First Nations"-Kanu, das aus einem einzelnen Baumstamm geschnitzt ist, paddeln wir auf die entlegene Insel "Meares Island" für eine kleine Erkundungstour. Auch hier zeigen sich die Wälder in dichter Pracht. Einmal, so berichtet unser Indianer-Guide, kam ein amerikanischer Geschäftsmann und wollte ein Stück vom "Baum-Kuchen" abhaben. Seine Genehmigung, aus einem Teil des Waldes um Tofino herum Kleinholz zu machen, hat ihm allerdings nicht viel gebracht. Kanadische Ureinwohner, Baumschützer und ganz Tofino gingen auf die Barrikaden, blockierten Zugangsstraßen und ketteten sich an Bäumen fest. 900 Demonstranten wurden verhaftet und die Aktion ging als der größte Akt zivilen Ungehorsams in die kanadischen Geschichtsbücher ein. Mit Erfolg: Der Amerikaner, der olle Holzkopf, musste abziehen. Diese und ähnliche Aktionen brachte Tofino den Ruf als "tree-hugging capital" von Kanada ein. Nur einmal hat man eine kontrollierte Abholzung eines kleinen Waldstückes gestattet: Mit dem Geld aus dem Holzverkauf wurde der Bau des Krankenhauses in Tofino finanziert. An einem Ort, an dem Holz quasi als Währung akzeptiert wird, scheint mir die Welt noch schwer in Ordnung.
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