Singapur: Wattebausch der Extraklasse

Singapur (Singapur)
Singapur (Singapur)

Die Broken-Windows-Theorie beschreibt in der Psychologie das Phänomen, dass Unordnung und Kriminalität in einer Gemeinschaft ursächlich miteinander verknüpft sind. Wo physischer Verfall (kaputtes Fenster) herrscht, lässt moralischer Verfall nicht lange auf sich warten. Oder anders herum: sauber gleich sicher. Singapur ist für dieses Phänomen geradezu ein Paradebeispiel! Wie gemeinhin bekannt wird Kaugummi ausspucken, Müll auf die Straße werfen und essen und trinken in öffentlichen Verkehrsmitteln mit bis zu mehrere Hundert Singapur-Dollar geahndet. Wie es richtig geht, wird im Rahmen einer "Freundlichkeitskampagne" in der Metro demonstriert: An den Scheiben springen Vorschläge ins Auge wie "Bring' Deinen Kollegen doch mal einen Kaffee mit ins Büro!" oder "Deine Bestellung im Restaurant wurde falsch gebracht? Bleib trotzdem höflich!" oder "Den schweigsamen alten Mann in der Bahn kannst Du ruhig grüßen!" So. Und jetzt versuch' mal nach dieser Charme-Offensive aus der Bahn zu steigen und den nächstbesten Opi k.o. zu schlagen oder einen Mülleimer in Brand zu stecken. Gar nicht so einfach. Die "Zero-Tolerance-Politik" geht in Singapur auf. Nach diversen Stopps in den letzten Monaten, bei denen ich sicherheitstechnisch auf der Hut war, fühle ich mich bei meinem ersten Asien-Ziel so wohlig und sicher wie in einem Wattebausch. Und wenn etwas mal nicht tip-top läuft: "Wie apologize for any inconvenience caused!" Das Konzept Singapur kann ohne Zweifel nur deshalb so gut funktionieren, da der junge Staat eben nur aus einer Stadt mit besonderer Entstehungsgeschichte besteht: Einst als strategisch wichtiger Hafen gegründet wurde Singapur nicht ganz freiwillig nach dem Zweiten Weltkrieg, angeschlagen durch furchtbare Verluste, in die Autonomie getrieben. Doch der heutige Stadtstaat witterte in der Not die Chance und setzte eisern und erfolgreich seine Vision eines sicheren, attraktiven Tors für die Welt nach Asien für Handel und Business um. Konkret heißt das heute: Für global agierende Unternehmen ist Singapur ein wichtiger Standort. Als Expad darf nur kommen, wer eine gehobene Position mit einer ordentlichen Bezahlung hat. In Singapurs Marina tummelt sich buchstäblich ein Meer von Schiffen mit Waren aller Art. Da Singapur keine eigenen Güter produziert, werden tatsächlich alle Produkte, Lebensmittel bis hin zum Trinkwasser importiert. Hier lässt Singapur nur das Beste vom Besten rein. Genauso verhält es sich mit städtischen Institutionen und Systemen, beispielsweise der Metro: Adaptiert und perfektioniert wird, was sich in einem anderen Land bewährt hat. Kurz gesagt, egal wo man sich in Singapur umschaut, die Qualität lässt keine Wünsche offen. Das mag jetzt alles ein bisschen steril klingen oder unnatürlich. Und es stimmt, wenn ich die Rolltreppe an der Metrostation "Raffles Place" hochfahre, beschleicht mich das Gefühl, Teil einer "Trueman Show" zu sein: Als ob jemand im Regie-Raum dieser perfekten kleinen Downtown-Welt sitzt, über Funk letzte Anweisungen an die Statisten gibt, die Hintergrundmusik hochfährt und "Action" sagt. Man merkt, dass Singapur schön gemacht wurde. Aber trotzdem wirkt es auf mich nicht künstlich. Der Luxus, mit dem Singapur zweifelsohne aufwartet, wird bei weitem nicht so aggressiv zur Schau gestellt, wie ich es in Dubai empfunden habe. Obwohl auch Scheichs hier durchaus auf ihre Kosten kommen würden. Auf der Orchard Road findet sich eine riesige Dichte von schier unglaublichen Shopping Malls. Auch hier gilt: Alles vom Feinsten. Prada, Gucci, Versace ... Alle Luxusmarken präsentieren sich auf der Einkaufsmeile gleich in mehrfacher Ausführung. Neben jedem Starbucks ein Rolex-Laden. Gibt es den Prada-Pulli nicht in der richtigen Größe, geh' zum nächsten Store eine Ecke weiter. Singapur ist nichts für Leute mit kleinem Geldbeutel. Oder mit Höhenangst. Ein beeindruckender Teil des Lebens der "Vertical City" findet über dem 50. Stockwerk statt, wie beispielsweise auf der atemberaubenden Rooftop-Bar "one altitude" auf Level 62 mit Blick über die Marina. Aber Singapur kann auch auf "ground floor"-Ebene beeindrucken: In China Town beispielsweise, wo mich die Mönche im Relic Tooth Tempel mit ihren Didgeridoo-artigen Gesänge wieder erden. Oder in Little India, wo sich schlagartig die Gerüche und Verkehrsregeln ändern. Der Linksverkehr ist hier meine kleinste Sorge ... Oder im Botanischen Garten, in dem Singapurianer mit Sonnenschirm und Selfie-Stick bewaffnet zur Ruhe kommen oder ihrem morgentlichen Outdoor-Fitness-Programm von Tai Chi über Schwert- und Fächertanz bis hin zu Cha-Cha-Cha nachgehen. Und die Moral von der Geschicht'? Singapur ist ein bis in jede Spitze erstklassig umgesetztes, perfektes Konzept. Und was kann man da schon bemängeln? Außer eben, dass es perfekt ist.

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Kommentare: 1
  • #1

    Natalie (Sonntag, 15 Mai 2016 21:08)

    Das ist ernsthaft dein 40. Blog????
    Das alles liest sich so kurzweilig und spannend und man (sicher nicht nur ich) wartet so ungeduldig auf den nächsten Eintrag, dass mir gar nicht aufgefallen ist, dass du seit mehr als einem halben Jahr unterwegs und mittlerweile auf dem vierten Kontinent angekommen bist :-)
    Weiter so, dann hast du das "book material" schon zusammen ! Beso