Was ist der Unterschied zwischen Reisen und Urlaub? Für mich ganz klar: Urlaub ist ein Ort. Reisen ist eine Bewegung. Es geht bei meiner Reise nicht darum, an möglichst jedem Ort gewesen zu sein und dort alles gesehen zu haben. In Ländern wie Kanada wäre das auch ein ziemlich stressversprechendes Unterfangen. Kanada ist schlappe 27 Mal so groß wie Deutschland. Ich habe einige ausgewachsene Ostküsten-Kanadier kennengelernt, die zum ersten Mal British Columbia besuchen. Das liegt daran, dass die Entfernung Montreal - Vancouver in etwa genauso weit ist wie die Distanz Montreal - London. Und Flüge nach Europa sind oftmals günstiger… Meine Devise lautet also: Ruhig bleiben, Gang rausnehmen und in aller Sorgfalt und Gemütlichkeit ein paar schöne kanadische Reise-Rosinen rauspicken. Nach "Slow Food" und "Slow Television" geht der Trend ganz klar zum "Slow Traveling": Deswegen entscheide ich mich, den Zug von Jasper zurück nach Vancouver zu nehmen. Für die 850 Kilometer lange Strecke werden bequeme 20 Stunden Reisezeit angesetzt. Die Fahrt führt entlang der wundervollen Rocky Mountains. Wir durchstreifen gewaltige Gletscher, kilometerlange Flussläufe und smaragdfarbene Seen. Direkt neben den Schienen sehe ich einen Schwarzbären. Mit der Anmut eines Buddhas sitzt er auf seinem flauschigen Derriere und schaut der silbernen, dampfenden Blechbüchse zu, wie sie sich durch seinen Wald schiebt. Dabei könnte man fast meinen, dass der Buddha-Bär über den Sinn des Lebens grübelt. Oder er denkt sich einfach: "Scheiß Feierabendverkehr!" Um nicht mehr als nötig zu stören, drosseln die Techniker die Geschwindigkeit des Zugs und wir rollen ganz langsam an dem kanadischen Ureinwohner vorbei. So viel Slow Motion animiert dann auch mein Zugabteil, über das Leben im Großen und Ganzen zu sinniert. Da Kanadier auf eine sehr unaufdringliche Art und Weise äußerst offene und mitteilsame Mensch sind, weiß ich ganz schnell über die drei Ehen meiner 80-jährigen Mitfahrerin Bescheid. Ich lerne, was sie als Kind am liebsten gegessen hat, und ich erfahre von ihrer Freundin, die bei der Arbeit in einem Camp von einem Bären getötet wurde. Von hier ist der Weg nicht weit zu wirklich philosophischen Ansichten wie "Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung" oder "Reinkarnation ist heutzutage auch nicht mehr das, was sie mal war". Bei so viel geistreichen Schwingungen gebe auch ich mich meinen Gedanken hin und überlege, ob mich das Reisen verändert. Die Antwort darauf ist ein glasklares Jein. Ich möchte nach meiner Rückkehr von der Reise nicht auf Bäumen leben, in den örtlichen Schützenverein eintreten oder Eisprinzessin werden. Der ganz große "Change" bleibt mit Sicherheit aus. Reisen hat auf mich eher den Effekt einer großen inneren Abstaub-Aktion. Im Laufe des Lebens legt man sich ein ordentliches Sortiment Werte und Glaubenssätze zu und räumt sie in sein inneres Regal ein. Die Reise gibt mir den Raum und die Zeit, alles, was sich in meinem Regal angesammelt hat, rauszunehmen, von jeder Seite anzuschauen, abzustauben und an eine passende Stelle zurückzustellen. Oder eben auszusortieren. Ich glaube, dass mich dieser Frühjahrsputz meines Lebens im Großen und Ganzen nicht verändert. Das Regal und der Großteil des Inhalts bleiben gleich. Aber durch das Abstauben sehe ich die Inhalte meines Regals und ihre Konturen klarer und deutlicher - geschärft. Da ich, wie man weiß, ein sehr ordentlicher und organisierter Mensch bin, macht mich diese Abstaub-Aktion extrem froh, gelassen, glückselig. Und müde. Nach 10 Stunden Schlaf im Wechsel zwischen Lotossitz und Embryonalstellung - von anderen Reisenden werde ich für dieses ausgeprägte Schlaftalent in gleichen Teilen bewundert wie verachtet - wache ich am Morgen kurz vor Vancouver auf. Ein letzter Zwischenstopp, bevor es nach Asien geht. Nach so viel Training von Körper und Geist das perfekte Reiseziel. Oooommmm.
Armer Leo! In "The Revenant" musste er ganz schön fies leiden. Zumindest hat ihm seine Rolle als "Der Rückkehrer" den langersehnten Oscar eingebracht. Trotzdem würde ich DiCaprio empfehlen, noch mal im Frühling in den Banff National Park, in dem The Revenant gedreht wurde, zurückzukommen. Denn in dieser Jahreszeit kann man die abgelegene Landschaft in den Rocky Mountains ganz wunderbar stress- und schmerzfrei genießen. Wobei…, die nahegelegenen Skigebiete rund um Banff bringen auch jetzt noch einige Pisten-Opfern mit Krücken und Schürfwunden hervor. Ja, Schürfwunden! Im späten Frühling wedelt der selbstbewusste Ski- oder Snowboardfahrer gerne oben ohne oder im Bikinitop den Hang hinab. Wem's taugt … Während die Gipfel und höher gelegenen Orte im ältesten Nationalpark Kanadas noch mit kaltem Puderzucker bedeckt sind, verschmelzen im Tal bei über 20 Grad, blauem Himmel und Sonnenschein die letzten Schnee- und Eisreserven mit den vielen Flüssen und Seen. Perfekte Bedingungen für Wanderausflüge, Fahrradtouren oder einfach mal einen Kaffee in der Sonne. Hauptsache "outdoor", denn: Draußen ist's am schönsten! Könnte glatt der Slogan eines Herstellers für Funktionskleidung sein - und der Banff National Park ist der perfekte Drehort für den passenden Werbespot. So mache ich mich auf den Weg zum Lake Louise und Lake Minnewanka und verrenke mir den Hals beim Bestaunen der vielen wilden Felsformationen, um die sich der Nadelwald im einheitlich satten Dunkelgrün wie ein Kuschelschal wickelt. Von den glatzköpfigen Gipfeln senden die spiegelglatten, perlmuttfarbigen Schneeflächen Lichtzeichen Richtung Himmel. The hills are alive with the sound of music… Kanada ist einfach nichts für Stubenhocker. Und nichts für Kameras ohne Panoramafunktion. Einzelfotos kann man bei diesen enormen Anblicken glatt vergessen. Das denken sich wohl auch die vielen Asiaten, die den verschneiten Lake Louise mit ihren riesen Linsen und Videoaufnahmegeräten stürmen. Ich frage mich, wo die immer so schlagartig und scharenweise herkommen. Vielleicht ja alles Gäste des berühmten "Fairmont Chateau Lake Louise". Die Übernachtungspreise des Luxushotels am Rande des Sees starten bei 600 kanadischen Dollar. Das sprengt dann leider doch das Backpacker-Budget, so geht's am Nachmittag zurück nach Banff "City". Die größte Stadt des Nationalparks ist im April "off season" herrlich ruhig und entspannt: Einige Zugangsstraßen rund um den Ortskern sind für Autos gesperrt, um dem frühjahrsbedingten Wildwechsel Platz zu machen: "Wolves, bears and moose crossing!" Auf den Straßen sind Mülleimer abgeschlossen und Autos in der Regel offen. Im Supermarkt werde ich gefragt, ob ich eine Plastiktüte haben möchte, bevor die Einkäufe darin versenkt werden, und in Cafés zahlt man für das Heißgetränk 50 Cent weniger, wenn man seine eigene Tasse mitbringt. Wer outdoor liebt, möchte outdoor auch schützen und erhalten. Mit gefällt's auf jeden Fall im Land der Biber, Bären und Bärte. Also werde ich es wohl irgendwann wie Leo machen und werde "Die Rückkehrerin".
Was tun, wenn man einem Bären begegnet? Der kanadische Ranger empfiehlt: Regel #1: Das Tier nicht erschrecken - ja klar, sorum wird ein Schuh drauß; Regel #2: Nicht wegrennen und nicht totstellen - zu gut Deutsch: Instinkte ignorieren; Regel #3: Kontrollierter Rückzug: Das heißt, sich groß machen, mit ruhiger, fester Stimme auf den Bären einreden und gleichzeitig langsam verduften - dabei am besten noch darauf achten, dass man nicht dem nächstbesten Cougar (kanadischer Puma) in die Klauen gerät. Als Bürgerin eines Landes, in dem schon ein einziger Meister Petz als Problembär angesehen wird, nehme ich solche Survival-Tipps natürlich ernst. Zugegeben, habe ich doch ein leicht flaues Gefühl bei meinen ersten Joggingrunden und Wanderungen durch die dichten Wälder von Vancouver Island. Erwähnte ich bereits die Wölfe …? Deshalb mache ich es sicherheitshalber wie die Marines und hoppel' singend durchs Gehölz. Schon die Bustour über Vancouver Island in das entlegene Tofino zeigt, wie viel Holz es hier vor jeder Hütte gibt. Die Fahrt führt durch Regenwälder und vermooste Mischwälder, die stark ans Fichtelgebirge erinnern. Aus dem Unterholz lugen hier und da riesengroße Anwesen mit luxuriösen Blockhäusern hervor, die sich harmonisch in den Wald eingliedern. Hinter jedem Baum ein Traumhaus. Neben dem Busfahren kann man sich in Kanada auch gut auf alternative Reisemethoden verlassen. Zum Beispiel auf Wasserflugzeuge, die viele entlegene Inseln und abgelegene Orte Kanadas miteinander verbinden. Oder aufs Hitch-Hiking. Meinen ersten kostenlosen "Ride" bekomme ich von einem netten kanadischen Ehepaar bereits auf der Fähre nach Vancouver Island angeboten. In Tofino angekommen legt der Frühling erst einmal eine Verschnaufpause ein. Für rund 48 Stunden widmet sich der Himmel in Sisyphos-Manier der Aufgabe, den Meeresspiegel zum Ansteigen zu bewegen. Ich tue mein bestes, um dieses verrückte Vorhaben zu unterstützen, indem ich mich jeden Tag in die eisigen Fluten des Fjords stürze. Doch am Ende gewinnt immer die Ebbe. Vom Panoramafenster des Hostels aus beobachte ich Weißkopfseeadler, Kolibris und Otter und Robben, die sich vergnügt durchs Wasser treiben lassen. Mit viel Glück kann man direkt vor Tofinos Tür auch Orkas oder Buckelwale sichten, denn vor Kanadas Küsten haben sich einige Familien dieser Meeresriesen fest eingemietet. Auch in Tofino wird mir wieder einmal bewusst, wie wichtig ein bisschen Langeweile im Leben ist. Vor allem an einem so schönen Ort in unberührter Natur ist Sich-Langeweilen mitunter so spannend, dass ich mich gar nicht davon losreißen kann. Am dritten Tag kommt dann die Sonne nach Tofino zurück und mit ihr meine Lust, die Gegend weiter zu erkunden. Mit einem "First Nations"-Kanu, das aus einem einzelnen Baumstamm geschnitzt ist, paddeln wir auf die entlegene Insel "Meares Island" für eine kleine Erkundungstour. Auch hier zeigen sich die Wälder in dichter Pracht. Einmal, so berichtet unser Indianer-Guide, kam ein amerikanischer Geschäftsmann und wollte ein Stück vom "Baum-Kuchen" abhaben. Seine Genehmigung, aus einem Teil des Waldes um Tofino herum Kleinholz zu machen, hat ihm allerdings nicht viel gebracht. Kanadische Ureinwohner, Baumschützer und ganz Tofino gingen auf die Barrikaden, blockierten Zugangsstraßen und ketteten sich an Bäumen fest. 900 Demonstranten wurden verhaftet und die Aktion ging als der größte Akt zivilen Ungehorsams in die kanadischen Geschichtsbücher ein. Mit Erfolg: Der Amerikaner, der olle Holzkopf, musste abziehen. Diese und ähnliche Aktionen brachte Tofino den Ruf als "tree-hugging capital" von Kanada ein. Nur einmal hat man eine kontrollierte Abholzung eines kleinen Waldstückes gestattet: Mit dem Geld aus dem Holzverkauf wurde der Bau des Krankenhauses in Tofino finanziert. An einem Ort, an dem Holz quasi als Währung akzeptiert wird, scheint mir die Welt noch schwer in Ordnung.
Für manche Dinge braucht man keine direkte Erfahrung, um zu wissen, ob man sie mag oder nicht. Spaghetti auf Pizza halte ich beispielsweise für eine wirklich schlechte Idee. Eine Übernachtung in einem Raum voller Hundebabys wäre hingegen ein echtes Highlight. Ebenso weiß man manchmal instinktiv, ob man einen Ort gut findet oder nicht, ohne je dort gewesen zu sein. Ums kurz zu machen: Kanada ist für mich schon immer ein Hundebaby gewesen. Wobei man hier wohl eher von einem ausgewachsenem Wolf sprechen muss. Denn der "Wahre Norden" zeigt sich bereits in Vancouver von seiner wilden Seite. Beim Hockeyspiel (das "Eis-" wird als redundant angesehen) der Vancouver Canucks stimmt der gestandene Fan bei der Nationalhymne mit Wolfsgeheul ein: O Canada,… The True North strong and free … ou-ou-ou-ohhuuuu! Ich hätte zu keiner besseren Zeit im Südwesten Kanadas ankommen können. Der Frühling explodiert an jeder Ecke, der Himmel ist so blau, dass er sich über eine kaum mehr zu erkennende Schnittstelle mit dem Meer verbindet. In den Straßen der Stadt riecht es nach Blüten, Nadelbäumen, Schnee von den Berggipfeln und Gras. Also, Cannabis, denn das ist in Vancouver mit der Wahl von Premierminister Justin Trudeau seit Anfang des Jahres irgendwie legal. Und irgendwie riecht man das auch. O Canada, … With glowing joints … ähhhh hearts we see thee rise! Vancouver ist so schön - man hätte es sich nicht besser ausdenken können. Die Stadt wurde quasi mitten in einen Nationalpark eingepasst. Überall hat man direkten Zugang zu Wasser, Wäldern und Bergen. Den besten Überblick über die Stadt bekommt man von oben. Deswegen stelle ich mich mit rund 100 anderen Stadtsportlern am Eingang des Harbour Centre zum "Urban Grind" an, um die 633 Stufen des Gebäudes per pedes zu bezwingen. Ein paar Minuten später gibt es oben angekommen ein Freibier und die Gewissheit, dass mindestens 200 Grad des 360-Grad-Blicks über Vancouver von Natur regiert werden. Dank der klaren Sicht erhält man einen fantastisch freien Ausblick in Richtung "große Schwester" USA und auf den 65 Kilometer weit entfernten Mount Baker, ein mit Gletschern bedeckter Vulkan, der als Skigebiet genutzt wird. Zur Stärkung nach dieser sportlichen Leistung steuere ich mal wieder ein asiatisches Restaurant an. Chinesisches, vietnamesisches, und japanisches Essen bekommt man hier an jeder Ecke in Top-Qualität. Das liegt vor allem daran, dass die ganze Gegend um Vancouver seit vielen Jahren von Asiaten besiedelt wird. So hat jede Stadt ab 5.000 Einwohnern ihr eigenes kleines Chinatown. Als kulinarisches Training für meine anstehenden Asienstopps gibt es Sushi und vietnamesische Reisrollen. Denn die Alternative, die mir von Kanadiern wärmstens ans Herz gelegt wird, ist dann doch nicht so ganz nach meinem Geschmack. Das kanadische Nationalgericht "Poutine" (gesprochen: [pu:ti:n]) ist in etwa so unappetitlich, wie es klingt: In Bratensauce ertränkte Pommes mit ollem Quietschkäse garniert. Als Hangover-Gericht vielleicht noch vorstellbar, aber ansonsten fällt das für mich doch eher in die Kategorie "Spaghetti auf Pizza".
Was kann man über New York schreiben, das nicht schon 1000fach gesagt oder besungen wurde? Was kann man von New York zeigen, das nicht schon x-mal auf der Kinoleinwand oder in TV-Serien abgebildet wurde? Ich versuch's erst gar nicht. Kann nur sagen - sorry, Köln, ich muss mir das mal kurz ausborgen: New York es e Jeföhl! Eins? Eher unendlich viele Gefühle. Los geht es für mich damit, dass ich mich hier auf Anhieb dazugehörig fühle und im intuitiv zu begreifendem System der Mega-Metropole zurechtfinde. In der Metro werde ich nach dem Weg gefragt und im Supermarkt nach meiner Kundenkarte. Selbst, wenn man mit leicht deutschem Akzent antwortet, bedeutet das noch lange nicht, dass man nicht ein waschechter New Yorker sein kann. Latinos, Asiaten, Italiener, Iren, Deutsche, Polen, Juden, Christen, Muslime, Veganer, Scientologen, Bettler und Banker, Neureiche und Aristokraten - jeder hat hier seinen Platz in der Gesellschaft. Selbst die Touristen. Okay, in den ersten Tagen steche ich mit meinem kunterbunten Regen-Outfit in der Metro doch etwas hervor. Denn bei den New Yorkern ist definitiv Schwarz das neue Schwarz. Aber nachdem ich mich über den Kleiderschrank meiner lieben Freundin, Carina, hergemacht habe, bei der ich in Williamsburg / Brooklyn unterkomme, verschmelze ich harmonisch mit all den New Yorkern, die abgesehen vom Outfit so unterschiedlich sind, dass man sich hier über Unterschiede wohl keine großen Gedanken macht. So gibt es für mich nicht DEN New Yorker, es gibt nur DIE New Yorker. Diese lerne ich als extrem freundliches, geerdetes, pragmatisches und unerschütterliches Volk kennen. Mit einer ganz besonderen NY-spezifischen linguistischen Eigenart: I don't know - like it's like - a sentence without 3 "likes" is like not a real sentence. Da man in New York immer seiner Zeit voraus ist, gibt es das Aprilwetter schon im März. Wind, Regen, Schnee und Sonnenschein wechseln sich ab. Glücklicherweise geht das Angebot an Cafés und Restaurants, an Galerien und Museen in NY niemals aus. So futtere und "kulture" ich mich so durch und gebe mich dem großen NY-Feeling hin. Ich laufe den Broadway von Downtown nach Uptopwn ab und bin erstaunt, wie geordnet und ruhig das geschäftige Manhattan funktioniert. Ich schlendere durch den Central Park und über die Brooklyn Bridge und nicke der NY-Else (aka Freiheitsstatue) aus der Ferne zu. Ich gehe viel und gut essen, ins Theater, ins Yoga und erlebe große Gefühle in der Metropolitan Opera. Was man in NY eben so macht. Und ich mache mir Gedanken. 6 Monaten reisen und beobachten, all die Erlebnissen und Eindrücken, so viele neue Freundschaften und Neuigkeiten von Weggefährten und Familie in Deutschland. All die Nachrichten aus Europa. Dazu ein ständiges Wechselbad zwischen Kulturschock und Heimatgefühlen in der Fremde. Kopf und Herz fordern Zeit ein, über all das "Über-Welt-igende" der Reise nachzudenken. Wer den Horizont erweitern möchte, muss definitiv dehnbar sein. Auch das 9/11 Memorial Museum weckt starke Emotionen. Zum ersten Mal besuche ich ein Museum über ein historisches Ereignis, bei dem ich Zeitzeuge bin. Viele detaillierte Erinnerungen und Bilder kommen aus diesen Stunden und Tagen wieder hoch. Das Gefühl damals, dass die Welt ab dem nächsten Tag eine andere sein wird. Und dann kommt der nächste Tag. Und mit ihm Brüssel. Die Berichterstattung der US-News-Channels ist erbarmungslos nah am Geschehen. Die Sicherheit auf den Straßen und in den Metros in NY wird erhöht, aber das Leben geht normal weiter. Da kann man sich nur ein Beispiel nehmen an den unerschütterlichen New Yorkern!
Der Süden der USA ist schon ganz schön … amerikanisch. Okay, das ist jetzt nicht wirklich überraschend, aber viele Situationen überrumpeln mich, seitdem ich hier bin. Ich spreche die Sprache, ich kenne den Standard, und dennoch sind die Werte und das Leben so komplett anders. Same, same, but different. Wenn schon amerikanisch, denn schon amerikanisch, denke ich mir und verbringe ein paar Tage in Austin, Texas, um zwei neue Freunde, die ich in Patagonien kennengelernt habe, zu besuchen. Und was ist das Amerikanischste, das man an einem Samstagvormittag so machen kann …? Shoot a gun. Ich staune nicht schlecht, als mein Gastgeber in Austin erzählt: "Ja klar, ich hab' drei Pistolen. Eine im Auto, zwei bei mir zu Hause. Wieso? Willst Du mal schießen gehen?" Wir machen uns auf den Weg zur Shooting Range. Sieben Tage die Woche geöffnet. Auf dem Parkplatz wird mir bereits mulmig. So viele Autos. Das heißt, so viele Menschen sind jetzt in diesem Gebäude mit ihren Waffen und üben, tja, wofür? Für den Ernstfall. Zur Selbstverteidigung. Zum Spaß. Der eine oder andere "Weapon Freak" ist schon dabei, bestätigt mein amerikanischer Freund. Mit drei Pistolen im Jutebeutel schlendern wir über den Parkplatz. Bei der Anmeldung am Schalter des Waffenladens versuche ich ruhig zu wirken und warte auf Instruktionen. Ein Mitarbeiter der Shooting Range fragt mich: "Hast Du schon mal geschossen". Ich: "No." Gespräch beendet. Keine ID-Kontrolle. Kein Background-Check. Keine Einweisung. Schließlich versichert mein Freund, dass er weiß, wie es geht. Mit Ohrenschutz, Sicherheitsbrille, ordentlich Munition und null Ahnung geht es durch eine Schleuse auf den Schießstand. Der Geruch des Schießpulvers, die lauten Explosionen der Kugeln und die Druckwellen bei jedem Schuss lassen mich die Luft anhalten. Ich glaube nicht, dass ich das machen kann. Hier stehen 20 bewaffnete fremde Menschen zwischen 15 und 60 in einem Raum. Ihre Pistolen bewahren sie daheim in der Sockenschublade oder neben dem Brandy auf. Einen Safe muss der Käufer einer Waffe in Austin nicht nachweisen. Genauso wenig wie seine allgemeine Zurechnungsfähigkeit. Und dann heißt es: vorgetreten. Waffe selbst laden. Das Papier mit Zielscheibe in Form eines menschlichen Oberkörpers pendelt sich in 7 Metern Entfernung ein. Ich wundere mich, dass es sich beruhigender anfühlt, die Waffe selbst in der Hand zu halten, als hinter einem Schützen zu stehen. Das Zittern, das beim Laden der Waffe noch deutlich spürbar war, ist weg. Alles fühlt sich sehr unwirklich an. Schlussendlich schieße ich. Die Bilanz: erster Schuss - Bull's Eye, zweiter Schuss - Daumen am zurückschnellenden Kolben gequetscht. Es blutet, aber ich spüre nichts, da ich (noch ganze 3 Stunden) bis zum Anschlag mit Adrenalin vollgepumpt bin. Mir reicht das erstmal. Ungläubig bis hin zu verständnislos sehe ich meinem Gastgeber dabei zu, wie er das restliche Magazin leerballert. Ich reise, um zu beobachten und nicht, um zu beurteilen. Bei solchen Erfahrungen fällt es aber doch schwer, das mitteleuropäische Wertesystem und Moral- bzw. "Normal-"Vorstellungen außen vor zu lassen. Es bleibt für mich unbegreiflich, dass der Besitz von Waffen in Texas per Verfassung für jeden ab 18 erlaubt ist. Wenn man die Entwicklung der derzeitigen Muppet Show im US-Fernsehen verfolgt - formerly known as Präsidentschaftswahl oder auch gerne bezeichnet als Wahl zum "Leader of the Free World" - kann man wohl kaum darauf setzen, dass mit dem Schießen irgendwann Schluss sein wird. Ich hoffe trotzdem, dass der eine oder andere Kandidat noch mit Pauken und "Trump-eten" untergehen wird. Aber das Prinzip Hoffnung hat in Deutschland bei den Wahlen ja leider auch nicht gerade hingehauen.
Ich bin in den letzten Monaten wirklich viel Bus gefahren. In Süd- und Mittelamerika alleine habe ich es auf rund 8.500 Kilometer in Fernbussen gebracht. Kleinkram nicht dazugezählt. Ich bin gerne mit dem Bus unterwegs, denn dadurch kann ich das Ausmaß eines Landes besser "erfahren" und es bringt mich der Bevölkerung näher. Aber genau darauf, so lerne ich in den USA, muss man vorbereitet sein. Für meinen Abstecher von New Orleans nach Austin buche ich ein Hin- und Rückticket mit dem Greyhound-Bus. Die Aussicht auf 11 Stunden Nachtfahrt entlockt mir höchstens ein müdes Lächeln. Bei meinem ersten USA-Aufenthalt vor knapp 20 Jahren bin ich auch Greyhound gefahren. Als ich abends an der Busstation in New Orleans eintreffe, habe ich das Gefühl, dass die Busse seitdem auch nicht ausgetauscht wurden. Der eigentliche Reality Bite kommt allerdings erst, als ich sehe, wer sich mit mir für die Busfahrt aufreiht. Es sind Menschen ohne Schuhe. Die Hände voll Plastiktüten mit Müll darin. Arme und Beine in schmutzigen Bandagen. Kaum einer, der nicht hinkt. Kleidung mit eingetrockneten Körperflüssigkeiten jeder Art. Dementsprechend ist der Gestank. Viele, die einsteigen, sind verwirrt, betrunken, wahrscheinlich auch voll mit härteren Drogen. Sie sind verletzt, krank, reden mit sich selbst oder versuchen, lautstark eine Diskussion anzufangen. Dem allgemeinen Zustand der Passagiere nach zu urteilen, sollte der Bus besser nicht nach Austin, sondern zur nächsten Notaufnahme fahren. Ich komme mir ziemlich fehl am Platz vor und isolierter als in vielen andere fremden Ländern, in denen ich bereits gereist bin. Ich steige ein. Ich setze mich und ziehe meine Kapuze über den Kopf, damit ich das viele harte Husten nicht direkt im Nacken spüre. Klar, in den USA hat jeder "normale" Mensch mindestens ein Auto. Strecken bis 400 Meilen werden "by car" bestritten. Ansonsten nimmt man das Flugzeug. Der Bus ist für die ganz Armen da. Arme Menschen habe ich schon in vielen Ländern gesehen. Aber, was ich hier erlebe, ist nicht arm, sondern erbärmlich. Für viele dieser Menschen besteht im Land der Möglichkeiten wohl keine Chance auf Hilfe. Im vorderen Teil des Busses wird es laut. Ein Mann mit hochgezogenem Hosenbein und Wunde an der Wade, klappt auf der Stufe beim Einsteigen in den Bus zusammen. Er lässt sich einfach fallen und bewegt sich nicht mehr. Seine Kleidung ist voll mit eingetrockneten Körperflüssigkeiten. Und auch als er sich zwischen Fahrersitz und Eingang verkeilt, lässt er es laufen. Er ist bei Bewusstsein, aber reagiert nicht auf die Worte des Busfahrers, der behutsam, aber eindringlich minutenlang auf den Zusammengebrochenen einredet. Nach und nach kommen weitere Fahrgäste nach vorne, ziehen sich sterile Handschuhe an und versuchen dabei zu helfen, den Fahrgast vom Aussteigen zu überzeugen. Doch niemand traut sich, den halb verdreht liegenden Mann zu bewegen. Ich höre, wie hinter mir einer sagt: "Ich würde helfen, aber wenn wir den raustragen und es passiert was, er verletzt sich, dann sind wir dran. Dann ham wir ne fette Klage am Hals." Erste Hilfe schwer gemacht. Also werden Ambulanz und Feuerwehr gerufen. Nach 45 Minuten auf der Busstufe befreien sie den Mann aus seinem misslichen Liegen, wohl aber nicht aus seiner allgemeinen misslichen Lage. Die USA sind ja nicht gerade für ihre medizinische und soziale Versorgung berühmt. Wie es mit ihm oder mit anderen in seiner Lage weitergehen wird, wer weiß das schon. Vielleicht interessiert es den Nächsten oder die Nächste im Weißen Haus. Hey, Mr. / Mrs. President … come take a Greyhound ride with me …
"Take care about the inside, but don't mess with the outside!" Das ist nicht etwa ein Appell an eine oberflächliche Gesellschaft, innere Werten aufzubauen, anstatt Schönheits-OPs nachzujagen. Dies ist eine grobe Beschreibung der Bauvorschriften für das French Quarter in New Orleans ("NOLA"): Wer hier Eigentum kauft, muss sicherstellen, dass die Außenfassade ihren ursprünglichen Look beibehält. Auf diese Weise soll das "Vieux Carré" auch als solches erhalten bleiben. Und tatsächlich versprüht das älteste Pflaster in New Orleans mit seinen über 100 Jahre alten Fassaden und Häusern und seinen zahlreichen Kunst- und Vintage-Läden den Charme der "good old times". Die Heimatstadt von Louis Armstrong ist vor allem für ihre Blue Notes bekannt. Die herzliche Begrüßung durch die Hostel-Mitarbeiterin "Singing Vanessa" verläuft deshalb auch stilecht trällernd ab. Das French Quarter quillt förmlich über vor Musik. Aus jeder Bar schwappt bereits ab dem Vormittag Live-Jazz, -Blues, -Dixie, -Swing, -Brass. Auch Hip-Hop, Funk und Rock, Violinen, Banjos und Stepptanz finden auf den Straßen und bei Open-Mic-Sessions ein Ventil. Für eine Woche ist Musik alles, was mein Herz begehrt, und somit erkläre ich das French Quarter in dieser Zeit zu meiner Haupt-Wirkungsstätte: Die Großstadt schrumpft auf eine kleine Nachbarschaft zusammen. Jeden Tag lasse ich mich auf einer Seite des Viertels einsaugen und auf der andere Seite wieder ausspucken. In der Zwischenzeit werde ich musikalisch kräftig geschüttelt und gerührt. Absolutes Weggeh-Highlight ist die Frenchmen Street. Hier befinden sich auf engem Raum fantastische, authentische Musikbars, die gerne auch von Einheimischen besucht werden. So bunt wie die Musik, ist das Publikum. So treffe ich zum Beispiel in "The Spotted Cat" auf der Tanzfläche auf eine 85-jährige, 1,50 Meter große, tanzende Omi mit hochgestecktem grauen Haar und Hornbrille. Sie ist wohl an diesem Morgen aufgewacht, hat ihre Ausgeh-Birkenstock-Schuhe rausgekramt und sich gedacht: 'Heute rocke ich mal den Dancefloor!' Ganz klar, wer an diesem Abend beim Brass-Konzert den Ton angibt. Einen kleinen Bogen mache ich hingegen um die Bourbon Street. Hier trifft sich das junge Partyvolk, um ganz schnell ganz viel Alkohol aus ganz schön großen, bunten Plastikmonstern zu bechern. In New Orleans dürfen auf der Straße Bier, Shots, Cocktails und Co. getrunken werden. Wo das endet - besonders zu Mardi Gras und zur Spring Break - ist ja wohl klar: Die ganze amerikanische Bilderbuch-Moral geht den Bach runter und wird in den Gulli gekotzt. Sodom und Gomorra haben im French Quarter ja auch eine gewisse Tradition. Dennoch - oder gerade deshalb - finden sich an jeder Straßenecke und in den Straßenbahnen Vertreter von Zucht und Ordnung mit zum Teil menschengroßen Kreuzen, die lautstark aus der Bibel zitieren. Und wem Religion nix taugt, der kann es ja mal mit Voodoo probieren. Die in New Orleans geborene Marie Laveau kreierte im 19. Jahrhundert eine Mischform aus Voodoo und Katholizismus als neuen Trend-Aberglauben. Ihre Shows waren damals schwer angesagt. Und noch heute kann man kleine Puppen mit Knopfaugen und Nadel im Herzen an jeder Straßenecke günstig erstehen. Apropos Nadel im Herz: Bratt Pitt ließ sich vor vielen Jahren bei den Dreharbeiten zu "Interview mit einem Vampir" im French Quarter mit einem Pflock durchs erkaltete Herz ordentlich aufspießen. Auch im übertragenen Sinne hat er zu dieser Zeit sein Herz an das French Quarter verloren und sich dort ein Haus gekauft. Klar ist: Auch er muss sich an die Bauvorschriften halten - da macht NOLA keine Ausnahme! Einzig das Klingelschild "Mr. und Mrs. Pitt" durfte er abschrauben.
Es heißt, die Maya hätten per Kalendereintrag vorausgesagt, dass am 21.12. oder am 23.12.2012 die Welt untergehen würde. Vielleicht konnten die Maya ja wirklich in die Zukunft blicken und wussten, was sich viele Jahrhunderte später zum Jahresende und zur "Spring Break" in Cancún so abspielen würde: der Untergang des Abendlandes. Zu diesen Zeiten strömen viele, viele tausend amerikanische Teenager in das mexikanische Party-Exil und feiern die Hotel-Meile auf und ab, bis der Arzt kommt. Wortwörtlich. Doch außerhalb dieser "Stoßzeiten" kann man in und um Cancún noch viel mehr erleben. Das quirlige Gemüt der Mexikaner, das Gletschereis-türkisfarbende Meer und die farbenfrohe Kultur, die an jeder Hausfassade und an jedem Straßenstand zur Schau gestellt wird, versprühen automatisch gute Laune. Mexikaner mögen's laut und bunt. Immer schon und überall. Was also tun an Karneval, um noch einen draufzusetzen? Die Steigerung von bunt lautet: Neon. Grell pink, grell grün, grell gelb sind eindeutig die Trendfarben zur diesjährigen "jecken Zeit". Doch jeden Morgen stellt sich die rebellische Sonne gegen das Prinzip "farbenfroh": Der Sonnenaufgang über dem karibischen Meer ist so grell weiß, dass es für kurze Zeit der kompletten Umgebung jegliche bunte Pigmente und Pixel entzieht. Zugegebenermaßen, einige Sonnenaufgänge überschlafe ich dann doch. Nach 4 1/2 Monaten ständigem In-Bewegung-Sein nehme ich in der Cancún-Home-Base meines Onkels eine kleine Auszeit vom Dauerreisen. Ich mache mich ziemlich gut als Poolliegen-Tester … Weniger als ich bewegen sich wohl nur noch die Leguane, die an jedem sonnigen Tag aus ihren Verstecken kriechen, sich auf den heißen Fliesen und Steinen flach machen und Energie tanken. Auch ich genieße die Horizontale in der Sonne, denn aus dieser Perspektive lassen sich besonders gut die Pelikane und Fregattenvögel beobachten, die Cancúns Küstenstreifen unsicher machen. Letztere tragen ihre Namen, da sie sich nicht selbst um ihre Beute kümmern, sondern andere Vögel mit Fisch im Maul attackieren, um ihnen den Leckerbissen abzujagen. Futterneid evolutionär manifestiert. Fisch gehört auch bei den Menschen vor Ort zum Hauptnahrungsbestandteil. Gegrillt, frittiert, als Ceviche zubereitet - Seafood gibt es überall in top Qualität, lecker und günstig. Genauso wie Avocado, am liebsten in Form von Guacamole. Unser Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei rund 3 Stück pro Tag. So gut gestärkt besuchen wir dann auch die beeindruckenden, uralten Maya-Stätten rund um Cancún: Tulum und Chichén Itzá. Hier scheint jeder noch vorhandene Stein nicht zufällig, sondern genau an Ort und Stelle zu sitzen. Eine intuitiv zu begreifende Infrastruktur. Vor allem die akribisch angeordneten Steinsäulen und bis zu 30 Meter hohen Steinpyramiden in Chichén Itza sind nicht von dieser Welt. In perfekten rechten Winkeln führt Stufe für Stufe für Stufe steil Richtung Spitze. Hier wurde vor langer Zeit Menschenblut gelassen. Und auch heute bluten hier noch viele Touristen, die an unzähligen Souvenir-Ständen auf dem Gelände überteuerte Mexikoerinnerungen made in China kaufen. Zweimal pro Jahr zur Tagundnachtgleiche findet an der Nordseite der Kukulcán-Pyramide das einmalige (bzw. "zweimalige") "Schauspiel der gefiederten Schlange" statt: Der Schatten der abgeschrägten Pyramidenkante fällt an diesen Tagen auf die Seitenwangen einer der Pyramidentreppen. Dabei entsteht der Eindruck, als würde sich dort eine Schlange langsam Stufe für Stufe hinunterwinden. Mag sein, dass ich zu viele Hollywood-Filme gesehen habe, aber ich wäre kaum überrascht, wenn eines Tages während des Spektakels die Pyramide als Ufo Richtung Himmel abheben würde. Vielleicht sollte man den Maya-Kalender diesbezüglich noch einmal etwas genauer studieren …
Wieder einmal sitze ich in einem heißen, staubigen "local bus" für einen Ortswechsel. Doch dieses Mal ist es anders als bei meinen letzten Touren: Zum ersten Mal, seit vielen Wochen, kehre ich zu einem Ort zurück, den ich bereits kenne. Nachdem ich in Drake Bay krankheitsbedingt einige Federn lassen musste, beschließe ich nach Santa Teresa zurückzukehren, um dort meine letzte "Costa Rica"-Tage zu verbringen. Es klingt vielleicht verrückt, aber die Vorstellung, an einen vertrauten Ort zu reisen, ist absolut beflügelnd. Ich weiß, welche Busse und welche Fähre ich nehmen muss. Ich kenne den Ort, also weiß ich, wie ich zu meinem Hostel komme. Als ich Santa Teresa den Bus verlasse, steigt mir gleich der bekannte klebrig-süßliche Geruch nach "Zuckerpalmöl" in die Nase. Das wird hier wie Streusalz auf den Straßen verteilt, um zumindest einen Teil des vielen Staubs zu binden. Dennoch sind die Pflanzen rechts und links der Straße von einer dicken graubraunen Schicht überzogen. Es sieht so aus, als ob hier vor kurzem ein Gebäude gesprengt worden wäre. Mit lautem Wrumm-Wrumm knattern Quads und Mopeds - die beliebtesten Fortbewegungsmittel in Santa Teresa - an mir vorbei. Zur Erklärung: Bei den Quads sitzen meistens die Mädels vorne. Kapazität: 1-3 Personen. Zusätzlich finden 1-2 kleine Hunde und ein Surfbrett oder auch mal ein Kühlschrank Platz. Bei den Mopeds sitzen meisten die Männer am Lenker. Kapazität: Von einer Person bis zu einer Kleinfamilie (Kleinkind - Vater - Schulkind - Mutter). Eventuell finden noch ein Hund und 1-2 Surfbretter Platz. Etwas schwerfällig setze ich mich mit meinem großen Gepäck in Bewegung. Ich weiß, bis zum Hostel ist es nicht weit. Und alle 20 Meter wird mir etwas leichter ums Herz, denn jeder, der mir entgegenkommt, schmettert mir ein wirklich freundliches "Hola, cómo estás?" entgegen. Da kann ich nur noch "Bien, muy bien." antworten. Santa Teresa: meine Medizin. Die letzten Wochen waren so spannend und haben mir so viel Neues und Schönes gezeigt, dass ich mir nun, an diesem vertrauten Ort, etwas Verarbeitungszeit gönnen möchte. Denn wenn man immer etwas Neues sieht, bedeutet das auch, dass man keinerlei Routine hat. Und das schlaucht. Jedes neue Land und jeder Ortswechsel allgemein erfordert eine Anpassung an die neue Umgebung. Wo ist der nächste Supermarkt? Wie funktioniert das hier mit den Bankautomaten? Halten die Autos, wenn ich über die Straße möchte? Wie ist meine Bleibe für die Nacht? Man weiß nie so recht, ob das, was man gebucht hat, Luxus oder Grütze ist. Man weiß nie, auf welche Menschen man als nächstes treffen wird und mit wem man sein Zimmer teilt. Klingt das wie eine Beschwerde? Ich hoffe, nicht! Eher eine Art "Halbzeitgedanke", denn rund die Hälfte meiner Reisezeit ist nun schon bald vorbei. Wie wild freue mich auf alles, was noch vor mir liegt! Oder sitzt ...: Kaum betrete ich die Veranda meines neuen Hostels muss ich grinsen, denn ich treffe einen alten Bekannten wieder: einen kanadischen Reisenden, den ich schon bei meinem ersten Aufenthalt in Santa Teresa kennengelernt habe. Auch er ist zum Wiederholungstäter geworden und er sitzt an genau derselben Stelle, an der ich ihn das letzte Mal vor meiner Abreise gesehen habe. "Schmutziges" Detail: er trägt dasselbe T-Shirt wie damals. Bei so viel Vertrautheit und Routine wird mir gleich ganz warm ums Herz. Und heute Abend, 17:37, geht's natürlich zum Sonnenuntergang an den Strand.
Ich kann nie wieder in den Zoo gehen. Oder in einen botanischen Garten. Oder meine Zimmerpflanze ansehen und denken: Ach, ist doch eigentlich ganz gut gewachsen. Was die Messlatte für Flora und Fauna angeht, verdirbt einen Costa Rica wohl auf Lebenszeit. Auf meinem Weg entlang der Pazifikküste Richtung Süden tauche ich immer tiefer in die unendlichen Nature Reserves dieses artenreichen Landes ein. Ich arbeite mich von einem magischen Ort zum nächsten vor. Besuche Strände, bei denen das Meer bei Flut direkt an den Wald reicht. Schwimme in glasklaren Wasserfällen - mittlerweile die einzige Möglichkeit für ein bisschen Abkühlung, denn das Meer wird wärmer und wärmer. Ich rattere mit kleinen Boten durch Mangroven-Wälder und halte nach Krokodilen Ausschau. Bis ich an meinem südlichsten Ziel des "Costa Rica"-Abschnitts, in "Drake Bay", angelangt bin. Je weiter es Richtung Süden geht, desto erdrückender wird die Schwüle, desto üppiger wird die Vegetation und desto vielfältiger werden die Tierarten. Tucane und Arakangas segeln durch die Luft. Alle möglichen Arten von Affen hüpfen durch die Baumkronen und glotzen nur blöd, wenn wir wie hysterisch versuchen, unsere Fotoapparate zu finden. Hundert Meter lange Straßen aus tanzenden Blättern mit Ameisen darunter schlängeln sich durch den Urwald. Ich sehe die irrwitzigsten Formationen aus sich ineinander verschlingenden und aneinander festhaltenden Bambus-, Wurzel- und Baumformationen. Die Landschaft sieht hier noch genau so aus wie vor tausenden Generationen. Entspannung, in einer sonst sich so schnell verändernden Welt. Es gibt so viele Dinge, die ich hier zum ersten Mal erlebe: In Drake Bay sause ich mit einer costa-ricanischen Version eines Holland-Fahrrads über die Start- und Landebahn des örtlichen Flughafens, um zum Strand zu kommen. Offiziell schwer verboten, ganz konkret aber der einfachste Weg zum Strand und deshalb allgemein akzeptiert. Bei einer Wanderung am Rande des Nationalparks springt mir ein kleiner Affe direkt ans Bein und starrt mich mit seinen Knopfaugen an. Ich glaube, er hat gesagt: Nimm mich mit… Beim Schnorcheln vor der Insel "Cano" tauchen plötzlich 3 Schildkröten neben mir auf und wir machen ein paar Schimmzüge gemeinsam. Kurze Zeit später finde ich mich in der Mitte eines Strudels aus silbernen Jackfish wieder, die wie manisch ihre Kreise um mich ziehen. Das passiert also, wenn man seine Komfortzone aufgibt. Man gewinnt den Luxus, vom wahren Leben berührt zu werden. Und das streichelt mich meistens und hält meine Hand. Manchmal kratzt es auch ziemlich. Denn auch Bakterien gehören zu den kleinen Lebewesen, von denen es in Costa Rica besonders viele gibt. Und diese kleinen Viecher machen mich in Drake Bay für 3 Tage platt. Zusammen mit "Dimitri" - der hauseigenen Fledermaus - vegetiere ich den ganzen Tag auf der Terrasse meines wundervollen non-profit Hostels mitten im Urwald. Aber das gehört eben auch zum Reisen in Costa Rica dazu. Das Leben trägt hier keine sterilen Handschuhe. Die Costa Ricaner fassen dies alles in ihrem Lebensmotto zusammen, das zu so gut wie jeder Gelegenheit passend eingesetzt werden kann: "Pura vida!" Was soviel heißt, wie das 'reine / wahre / wahrhaftige Leben'. Eine Erinnerung, das Leben einerseits in vollen Zügen zu genießen und anzunehmen und andererseit nicht immer zu ernst zu nehmen. Man sagt es, um sich zu begrüßen, um sich zu bedanken, um mitzuteilen, dass etwas gut gelaufen ist, und um sich zu verabschieden. Denn was könnte man sich Schöneres zum Abschied wünschen als das "wahre Leben". Pura vida, liebe Freunde! Pura vida!
Seit Santa Teresa bin ich mir sicher: Die beste Perspektive aufs Leben hat man von einer Hängematte aus. Alle überflüssigen Gedanken, alle Sorgen und Probleme rieseln durch das Netz unter mir und verbinden sich als winzige Sandkörner mit dem Rest des riesigen Strandes. Was übrig bleibt, ist mein ungefiltertes Ich. Und in diesem Ich steckt - wer hätte das gedacht - auch ein Beach Babe! Schon am ersten Tag in Santa Teresa lasse ich mich von den entspannten Vibes dieses Surfer-Hippie-Dorfes anstecken und verlängere meinen eigentlich 3-tägigen Aufenthalt um eine weitere Nacht. Am zweiten Tag buche ich schnell mein nächstes Busticket und Hostel-Zimmer, um sicherzustellen, dass ich auch wirklich weiterziehen werde. Ansonsten laufe ich eindeutig Gefahr, den Rest meiner geplanten Costa-Rica-Zeit (oder länger?) in diesem kleinem Ort an der Pazifikküste zu versacken. Damit befinde ich mich durchaus in guter Gesellschaft, denn in Santa Teresa wird jeder Reisender zum "Nachsitzer", "Mehrfachtäter" oder komplett "Hängenbleiber", wie so viele Israelis, Argentinier und Deutsche, die hier Restaurants, Cafés oder Surfshops eröffnet haben. Auch ich überlege, Surfstunden zu nehmen … oder Quad zu fahren … oder eine "Canopy Tour" zu buchen... Aber, ganz ehrlich: Ich habe keine Lust. Verspüre keinen Drang nach einer geplanten Aktivität. Bin nicht bereit für einen vorgegebenen Termin am Tag. Mein Lebensmotto für Costa Rica lautet: The best plan is to have no plan. Because then, anything can happen. Jeden Morgen lasse ich mich gegen 6 Uhr von dem Geschrei der Affen wecken, die eher wie Löwen mit Verdauungsproblemen klingen. Zum Frühstück gibt es nette Gespräche mit anderen Reisenden und einen selbstgemachten Smoothie (Karotte, Maracuja, Banane, Orange, Eiswürfel und etwas Milch - unschlagbar). Eichhörnchen und Gekos huschen über die Holzdielen der Außenküche meines Hostels. Den Tag bestreite ich durchgängig mit Bikini, Shorts und Flip-Flops im Radius meiner Komfortzone - die in etwa 300 Meter beträgt. In Santa Teresa, das quasi nur aus einer 5 Kilometer langen Schotterstraße und parallel verlaufendem Beach besteht, führen alle Wege Richtung Strand. Dort liege ich vorzugsweise in der Hängematte und döse oder lese, ich jogge, schwimme oder beobachte meine Lieblingsvögel: die Pelikane. Man nennt sie "the Costa Rican Army", weil sie in Form eines Geschwaders auftreten. Sie segeln rund 5 Meter über dem Meeresspiegel und sobald sich ein Fisch vor ihre "Adleraugen" (okay, der Vergleich hinkt etwas) verirrt, rammen sie volle Kanone steil hinab in die seichte Gischt und tauchen mit etwas Glück mit Fisch im Schnabel auf. Apropos Glück … Auch von den Costa Ricanern heißt es, dass sie die glücklichste Menschen der Welt wären. Anders als bei den Menschen aus Paraguay kann ich mir auch durchaus vorstellen, warum das so ist. Hier meine Top-3-Theorien: 1.) Weil es in Costa Rica die weltweit besten "Batidos" (Smoothies, Säfte, Milkshakes) gibt; 2.) Weil es in Costa Rica zum guten Ton gehört, sich immer freundlich anzulächeln und zu grüßen, wenn man Augenkontakt hat. 3.) Weil man in Costa Rica einen Grad von Entspannung, Loslassen und Planlosigkeit ausleben kann, wie ich ihn bisher noch nicht am eigenen Leib erfahren habe. Wobei, einen festen Termin plane ich dann doch jeden Tag aufs Neue ein. Der ist um genau 17 Uhr 37: Sonnenuntergang am Strand von Santa Teresa. Hier versammelt sich das ganze Hippie-, Surfer- und Reisevolk. In stillen stehenden Ovationen zollt ein jeder dem sich zu Ende neigenden Tag Tribut. Vor einer Weile hätte ich mich wohl noch gefragt, womit ich all das verdient habe. Doch solche Gedanken kommen mir hier nicht. Ich nehme alles, was ich erlebe, als Geschenk an. Im letzten Momenten, in dem die Sonne noch als Streifen am Horizont in den Augen kitzelt, stehe ich auf, stelle mich zu den anderen. Ich verneige mich vor dem Tag und sage im Stillen Danke.
Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg ist steinig und schwer. Aber er lohnt sich! Wer ein Stück vom Paradies abhaben möchte, muss es sich verdienen. 90 Prozent der Straßen von Costa Rica bestehen aus Schotter, Schlaglöchern und Staub. Als die große weite Welt auf den Trichter gekommen ist, wie schön Costa Rica ist, und seitdem in den Ferien hier herströmt, haben sich die Einheimischen vehement dagegen gewehrt, die (meisten) Straßen zu teeren. Richtig so! Für die 140 Kilometer lange Fahrt mit dem "local bus" von San José nach Santa Elena (Monteverde Cloud Forest Reserve) lerne ich also gleich mal eine realistische Reisezeit von 4,5 Stunden anzusetzen. Der Aufstieg zum Cerro Amigo (1.842 Meter), dem höchsten Berg in diesem grünen Paradies, ist nicht weniger anstrengend und weckt Großglockner-Erinnerungen. Auf 30-Grad-(plus) steilen Lehmwegen geht es auf direktem Weg gnadenlos bergauf. Schmetterlinge tänzeln über den Schotter und scheinen einem beibringen zu wollen, dass jeder Berg im Leben zu schaffen ist, wenn man nur zu fliegen lernt. Und wenn man am Morgen eine ordentliche Portion "Gallo Pinto" - das Nationalfrühstück - hatte: gebratener weißer Reis und Bohnen, Rührei, Tortilla und Kochbanane. Das beflügelt. Oben angekommen belohnt ein wolkenloser Blick auf den "Vulcano Arenal", dem aktivsten Vulkan Costa Ricas, und ein Nickerchen im Schatten. Ein bisschen Ruhe zur richtigen Zeit muss sein, denn am nächsten Tag geht es schon weiter Richtung "La Fortuna", die nächste Stadt zum Vulcano Arenal und seinem inaktiven kleinen Nachbarn "Cerro Chato". Letzterer zeigt mir, dass alles bisher Erklommene "Kinderteller" war. Als ich die geführte Tagestour mit dem Titel "extreme hike" auf den Cerro Chato buche, denke ich noch: jaja, extrem hike… mal wieder so ein Marketing-Jargon. Schnell wird klar: nee, nee, nee, die meinen das ernst. Über einen Weg, der seinen Namen als solchen nicht verdient hat, schleppen, ziehen und klettern wir steile Lehmwände mit vollem Körpereinsatz hinauf. Dankbare Stopps gibt es, sobald uns die Flora und Fauna der Gegend einen Besuch abstattet: kreischende Tukane, riesige Schmetterlinge und schwarze Truthähne segeln durch die Luft. In den Baumwipfeln sieht man mit Glück Faultiere, Olingos und Kinkajous. Ameisen, Vogelspinnen und grüne Buschvipers tummeln sich am Boden. Deshalb heißt es auch immer schön Obacht, wenn man sich irgendwo festhalten möchte, um sich weiter Richtung Gipfel vorzuarbeiten. Doch der Gipfel ist noch lange nicht das Ziel. Oben angekommen lautet die Devise: "Wecke das Kind in Dir". Noch steiler als bergauf geht es ab jetzt bergab in Richtung Vulkankrater. Über glitschige Wurzeln gleiten wir "arschlings" ('tschuldigung) hinab. Wer nicht dreckig wird, macht etwas falsch. Die Schwerkraft wird dem eine oder anderen zum Verhängnis, aber zumindest schaffen wir es alle unbeschadet bis zum Kraterinneren. Hier erstreckt sich ein wunderschöner ruhiger See, der zur Belohnung und mittelfristigen Reinigung gleich mal für ein Bad herhalten muss. Dass es hier von Blutegeln nur so wimmelt, erfahre ich glücklicherweise erst ein Tag später. Beim Weg hinaus aus dem Krater und dem Abstieg auf der anderen Seite des Cerro Chato werden verbleibenden Kräfte mobilisiert. Denn wir alle freuen uns auf den letztem Tagesordnungspunkt dieser Tour: Ein Bad in den natürlichen heißen Quellen (Natural Hot Springs) von La Fortuna. Im Dunkeln arbeiten wir uns barfuß über glitschige Felsen und reißende Ströme zu einem kleinen warmen Pool vor. Einige Badende, die vor uns da waren, haben Kerzen aufgestellt. Und so lecken wir unsere Wunden und pflegen die müden Gelenke bei schummrigen Licht im 40 Grad warmen Wasser. Über uns die Baumkronen des Mischwaldes und der sternenklare Nachthimmel. Trotz des ausgiebigen heißen Bades schmerzen am nächsten Tag Muskeln, von den ich noch nicht einmal wusste, dass ich sie habe. Meine Beine zählen weitere Schrammen und meine Wäsche stinkt erbärmlich. Es ist GROSSARTIG! Ich kann nicht fassen, dass dies erst der Anfang von meinem Costa-Rica-Aufenthalt ist. Next stop: Playa Santa Teresa. Entfernung: 150 km. Reisezeit: 10 Stunden ...