Es heißt ja immer, Wasser könne nicht bergauf fließen. Doch, kann es schon. Man braucht nur eine bis über die Wade überschwemmte Straße und eine hochgekrempelte Jeanshose. Wenn nämlich das Straßen-Kanalsystem ob der Wassermassen in die Knie geht, kriechen selbige (Wassermassen) über eben dieses (Knie) hoch bis zur Gürtellinie. Unsere Ankunft im kleinen Küstenort Paraty (zw. Rio de Janeiro und Sao Paulo) erinnert stark an die Forest-Gump-Szene im vietnamesischen Dschungel: Wasser von oben, Wasser von unten. Dicke Tropfen. Lange Tropfen. Sprühregen. Starkregen... Taxi und Bus erklären die historische Altstadt zum Sperrgebiet. Ohne Floß nix los. Als wir nach gut einer Stunde Herumstolpern in überschwemmten Straßen unser Altstadt-Hostel gefunden haben (never trust on google maps!), helfen nur noch ein Köpfer samt Kleidung in den Pool und ein Caipirinha aufs Haus. Das viele satte Grün, von dem Paraty umgeben ist, muss ja auch schließlich irgendwo herkommen. Deswegen regnet es gleich 48 Stunden durch. Wir lernen zu entschleunigen und neue Cocktails mit Maracuja kennen. "Und dann, eines Tages, hört der Regen plötzlich auf" (Forest Gump). Paraty entpuppt sich als gechilltes, Hippie-angehauchtes und hier und da auch Marihuana-ausgehauchtes Pflaster. Apropos Pflaster…, auf diesem kann man sich nur im Schneckentempo fortbewegen, da es aus so wild zusammengewürfelten großen und kleinen Steinen besteht. Das erklärt, a) warum das Regenwasser so schlecht abfließt und b) warum uns Paraty so entschleunigt. Nachdem das Stelldichein zwischen Sonne und blauem Himmel endlich wieder hergestellt ist, manchen wir eine halbtägige Bootstour entlang der bezaubernden kleinen Insel und Buchten vor Paraty. Die Landschaft wirkt schon fast karibisch. Überall tummeln sich bunte, hölzerne Fischer- und Ausflugsboote. Regelmäßig werden Stopps eingelegt, damit wir uns über Bord schmeißen können. Das Wasser ist glasklar und perfekt temperiert: Man möchte am liebsten den ganzen Tag wie ein Korken durch die Gegend treiben. Von Bord erklingt Live-Bossa-Nova, gespielt von unserem brasilianischen Marathon-Gitarristen (5 Stunden am Stück!). Nach diesem Ausflug sind wir tiefenentspannt und mit dem "nassen Element" wieder versöhnt. Wer hätte das gedacht nach unserer verregneten Ankunft. Das Leben ist eben doch wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man kriegt.
Für alle, die es nicht wissen: eine "Bucket List" ist eine Liste, auf der man - gedanklich oder tatsächlich - alles notiert, was man irgendwann einmal in seinem Leben gemacht haben möchte. Schwimmen mit Delfinen, Flick-Flack lernen oder die schärfste Curry-Wurst-Sauce der Welt probieren. Und überleben, um auch noch den Rest der Bucket List zu erledigen. Ich wusste bisher noch nicht, dass ich eine Bucket Liste habe. Doch nach dem nächtlichen Silvesterbad an der Copacabana denke ich ernsthaft darüber nach, mir ebenso eine Bucket List zusammenzustellen. Die erste Checkbox ist bereits abgehakt ... Früh ist klar, dass Neujahr in Rio etwas ganz, ganz Besonderes ist. Schon eine Woche vor dem großen Spektakel bereitet die Bühne mit Mega-Festival-Ausmaß in der Mitte des Copacabana-Strands darauf vor, was hier bald passieren wird. Am frühen Morgen des 31. bringen sich 10 riesige Plattformen mit Zündschnur Glied für Glied an der Küstenlinie in Position. Wenig später reihen sich mindestens ebenso viele Kreuzfahrtschiffe wie eine Perlenkette in zweiter Reihe auf. Die Bühnen-Soundchecks gehen gegen Nachmittag langsam in ein Konzert über und nach und nach strömen 2 Millionen Menschen aus aller Welt mit weißer Kleidung und Partylaune an den Strand. Es gibt einige Rituale an Neujahr zu beachten. 1.) Man trägt Weiß, 2.) Die Farbe der Unterwäsche verrät, was man sich für das neue Jahr wünscht: Geld, Harmonie, Liebe oder eben etwas anderes, 3.) Damit der Wunsch in Erfüllung geht, muss man während des Feuerwerks auf einem Bein in der Brandung stehend 7mal über eine anrollende Welle hinwegspringen. Was zu fortgeschrittener Partystunde durchaus eine Herausforderung ist und Rio eigentlich den Guinness-Buch-Eintrag für den weltweit größten Wet-T-Shirt-Contest einbringen sollte. Auch wir stehen pünktlich zum Countdown und veranstaltungsgetreu gekleidet an der Copacabana. 3 - 2 - 1 … und dann geht es von 0 auf 100! Die 10 Plattformen feuern synchron ab, dass die Schwarte kracht und das Deck nur so raucht. Der Himmel am Horizont färbt sich grün, weiß, rot. Die Kreuzfahrtschiffe salutieren. Die Masse jodelt und pfeift. Zum ersten Mal im Leben macht Feuerwerk für mich wirklich einen Sinn. Und dann, es wirkt ein bisschen sektenartig, steigen immer mehr Menschen mit weißen Kleidern in die warmen Wellen für ein nächtliches Bad mit "high lights". Auch ich kann nicht mehr trocken bleiben und beschließe, den Rest des Feuerwerks vom Wasser aus zu beobachten. Mit dem Kopf in dem Nacken rücklings im Wasser treibe ich in den Wellen und spüre bei jedem Knall die Vibration des Feuerwerks um mich herum. Weißes Kleid, schwarze Wellen, rotes Feuerwerk - das hat schon ein bisschen was von Schneewittchen. Einfach märchenhaft. Oder zauberhaft, denn um mich rum verschwinden einfach so 2 Millionen Menschen. David Copperfield, Du Anfänger! Nach 16 Minuten ist das bunte Feuerwerk vorbei. Im Himmel hält sich hartnäckig der graue Rauch. Die Kreuzfahrtschiffe salutieren ein letztes Mal und drehen nach und nach ab. Ich bin gerührt und sprachlos und ich glaube, dass das Meer um mich herum etwas salziger und voller geworden ist. Ein bisschen Tränen müssen schon sein. Ein würdiger Start für ein fulminantes neues Jahr und für eine großartige neue Bucket List.
Es gibt viele Länder, die von sich behaupten, das Land des Lächelns, das Land der Freude oder einfach nur voll extrem nett zu sein. Brasilien würde ich dieses Zeugnis auf Anhieb ausstellen. So viel herzlich angelacht, fröhlich angestrahlt und hilfsbereit ange-kauderwelscht (englisch-portugiesisch-spanisch) wurden wir schon lange nicht mehr! Nach unglaublichen 25 Stunden Busfahrt, in denen ich sagenhafte 15 Stunden geschlafen habe, kommen wir am heiligen Nachmittag in Rio de Janeiro an. Die ersten beiden Tage verbringen wir in einer Favela direkt hinter den Hochhäusern der Copacabana. Die Favela ist erfolgreich befriedet. Das heißt: hier achten nicht korrupte Gesetzeshüter darauf, dass die Drogengeschäfte nicht mehr mit Waffengewalt auf offener Straße, sondern nur noch ohne größere Vorkommnisse hinter verschlossenen Türen stattfinden. Es funktioniert. Zumindest in der Favela von Leme. Denn für uns ist die Zeit dort wirklich friedlich, freundlich und extrem laid-back. Das Leben in Rio fühlt sich tatsächlich so gechillt an, wie es Tom Jobim in seinem Bossa-nova-Klassiker "Girl from Ipanema" einst musikalisch manifestiert hat. Und was soll man auch groß machen, wenn 36 Grad auf dem Thermometer stehen, die sich allerdings wie über 40 Grad anfühlen… Erst einmal ankommen, der Wäsche beim Trocknen zusehen (ohne Witz - geht ratzfatz!) und in dem wunderbar klaren Wasser am Copacabana-Strand Wellenbad spielen. Bevor jetzt die ersten Bilder von brasilianischen Strand-Beautys eingefordert werden, sollte Folgendes klargestellt sein: An den Stränden der Copacabana und von Ipanema sieht man wirklich ALLES: Von Schönheiten bis Scheußlichkeiten, von Wunderbusen bis Wabbelbauch, von Miss-Wahl bis Walross! Alle Generationen unterschiedlichster ethnischer Herkunft mit sämtlichen Konfektionsgrößen kommen zum Jahresende an den Stränden von Rio zusammen. Irgendwie passt hier jeder rein. Auch wir fallen endlich mal nicht mehr auf, wenn wir so dasitzen, Kokosnusswasser aus der Originalfrucht schlürfen, unbekanntes exotisches Obst essen oder Caipi für umgerechnet 2 Euro 50 verkosten. Nach 2 Tagen ziehen wir eine gute Reihe weiter nach vorne in Richtung Copacabana zu meinem lieben Schulfreund Marc und seiner Frau Lu, die uns auch endlich dazu animieren, den Rest der tollen Stadt von Rio zu erkunden. Den Tagesrucksack um den Hals geschwungen, die Träger dreimal ums Handgelenk gewickelt und alles wie einen Dudelsack rechtsseitig an den Körper gepresst (sicher ist sicher!) machen wir uns auf in die wunderschönen botanischen Gärten und Parks der Stadt. Denn hier fühlen sich die 36 Grad auch tatsächlich "nur" wie 36 Grad an. Es ist fast egal, wo man sich in Rio befindet: überall sieht man auf ein und denselben Blick klare Gewässer, verlockende Grünanlagen und steile Felsen. Fast schon ein Naturerlebnis. So richtig großstadt-hektisch ist es nur in der mit belebten Märkten übersäten Altstadt mit europäisch-historischem Flair. Hier sieht man auch ausnahmsweise ein weniger freundliches Gesicht von Rio: Z. B. eine halbnackte Crack-Prostituierte, die hochschwanger und benommen auf der Straße rumtorkelt und mit sich selbst lautstark ein Streitgespräch führt. Oder Werktag-Obdachlose, die Montag bis Freitag in den Straßen der Altstadt übernachten, da das tägliche Busticket hin und zurück zu ihrem Zuhause am Stadtrand bei der geringen Bezahlung einfach zu teuer ist. Über all diesem Geschehen wacht die 30-Meter-hohe Christus-Statue: "Cristo Redentor" ist nicht nur DAS Wahrzeichen von Rio, sondern auch 1a Orientierungshilfe, denn Christus kann man in Rio so gut wie überall sehen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die "Cariocas", wie sich die Einwohner von Rio nennen, so freundliche und ausgeglichene Gemüter haben. Selbst alte Wunden können dem nichts anhaben. Sobald man hier nämlich mitbekommt, dass wir aus Deutschland sind, wird uns immer wieder "Ohhhh, 7:1, 7:1!!!" entgegengeschmettert. Das Ganze - wie sollte es anders sein - mit einem riesen großen Lachen im Gesicht und oft begleitet durch ein anerkennendes Schulterklopfen. Wirklich bemerkenswert! In punkto Lebensfreude sind die sonnigen Gemüter von Rio unangefochtene, ewige Weltmeister.
Als sich die Natur die Iguazú-Wasserfälle auf der Grenze zwischen Argentinien und Brasilien ausgedacht hat, muss sie wohl einen besonders guten Tag gehabt haben. Majestätisch, gigantisch und erhaben thront eines der sieben Weltwunder im subtropischen Dschungel. Mehr Superlativ und Perfektion geht nicht. Da muss auch jeder Scheich aus Dubai vor Respekt den Hut ziehen. Unsere erste Annäherung an die Wasserfälle findet von der argentinischen Seite aus statt. Durch dichtes Grün geht es zu Fuß immer näher in Richtung Tosen und Rauschen. Und plötzlich donnert der erste Wasserfall aus dem Dschungel hinab. Sofort zücken wir beeindruckt die Kameras - verstehen erst später, dass das nur die kleinen Wasserfälle "zum Kennenlernen" sind. Über stabile Stege laufen wir direkt über die tödlichen stürzenden Fluten. Ein Wasserfall reiht sich an den nächsten. Breiter, tiefer, lauter. Das nasse Spektakel steigert sich immer weiter zu einem atemberaubenden Klimax. Tausende Tonnen tobendes, waberndes Wasser und Turbulenzen raunen, fallen und zischen in einer 150 Meter hohen Gischt empor. Aufgrund der außergewöhnlich starken Regenfälle der letzten Wochen gibt es zurzeit besonders viel Wasser an den Iguazú Falls. Der nette Hinweis im Badezimmer unserer Pension zum Thema Duschen und Handtücher "Please save water" (auf Spanisch natürlich, da in Argentinien so gut wie niemand Englisch spricht) scheint von Minute zu Minute absurder. Der Steg zum "Devil's Throat Fall" - eine der Hauptattraktionen, wenn man das so sagen kann - ist aufgrund des hohen Pegelstands von der argentinischen Seite aus nicht zugänglich. Aber das ist völlig egal. Denn im nächsten Moment können wir schon eine der existenziellen Fragen der Menschheit oder zumindest der Kindheit beantworten: Wie wäre es wohl durch eine Autowaschanlage zu marschieren? Ohne Vorwarnung werden wir auf einem der nächsten Stege von der gewaltigen Gischt und Druckwelle der "San Martín"-Wasserfälle erfasst. Innerhalb einer knappen Sekunde sind wir durch und durch nass bis auf die Knochen. Reflexartig halte ich die Luft an, da ich mir durchaus vorstellen kann, dass man in dieser Gischt ertrinken kann. Doch von Weglaufen keine Spur. Wie ein Magnet hält mich dieses fantastische Gefühl, von Mutter Erde einmal kräftig durchgespült zu werden, an Ort und Stelle. Jeder, wirklich jeder quietscht und kreischt vor Freude über dieses noch nie empfundene Erlebnis wie ein kleines Kind. Hinterher fühle ich mich gereinigt, glücklich, ein kleines bisschen albern und natürlich nass - nicht das letzte Mal für diesen Tag… Am nächsten Morgen machen wir uns für einen Perspektivwechsel auf den Weg nach Foz do Iguazú (Brasilien). Von der brasilianischen Seite aus kommt man zwar nicht mehr ganz so dicht ran an die Wasserfälle, hat dafür aber einen perfekten Überblick. Uns wird klar, dass wir von Argentinien aus - unfassbarerweise - nur die Spitze des Eisbergs beziehungsweise den äußeren Zipfel dieses Wunderwerks der Natur gesehen haben. Wie viel Wasser pro Sekunde die Iguazú Falls hinabstürzt, weiß ich nicht. Aber ich stelle es mir in etwa so vor, als ob alle Menschen weltweit gleichzeitig die Klospülung betätigen würden. Wahrscheinlich ist es noch viel, viel mehr! Auch die "Devils Throat" ist von der brasilianischen Seite aus gut zu sehen. Dank des "günstig" stehenden Winds werden wir an diesem heißen Tag auch gleich wieder ein paar Mal nass. Unsere Pro-Kopf-Bilanz der letzten 48 Stunden: 6 Duschen inklusive Vorwäsche. Ein schlechtes Gewissen wegen des hohen Wasserverbrauchs haben wir trotzdem nicht. Schließlich waren die meisten Duschen ja "ecologically friendly".
Die Busfahrer im Südamerika sind ganz schön pfiffige Multitasker! Sie können gleichzeitig Tickets kassieren, mit dem Handy telefonieren, den Sitz zurechtrücken, die Hand zum Fluch erheben und ganz nebenbei den Bus lenken. Beim Restgeld rausgeben können sie manchmal nicht richtig rechnen. Aber: geschenkt! Und auch wir sind mittlerweile Profis mit dem Bus. Wir wissen uns geschickt ganz schnell irgendwo festzuklammern, wenn der Busfahrer losbrettert, obwohl man noch mit einem Bein draußen hängt. Denn sonst wird man womöglich aus der offenen Tür (die umweltfreundliche Klimaanlage) geschleudert. Wir wissen, wie man den Busfahrer ermutigt, uns an der nächsten Ecke rauszulassen. Nur wissen wir leider noch nicht so recht, wie man den Busfahrer dazu bringen kann, an der Grenze zu halten, was uns höchstwahrscheinlich ein Einreiseverbot nach Paraguay für die nächsten Jahre eingebrockt hat. Von Posadas (Argentinien) aus möchten wir als Tagesausflug Encarnación (Paraguay) ansteuern. Und bevor Südamerikakenner 'Hääää, wieso denn nach Paraguay?!' fragen: Okay, wir sind bekennende "Stempel-Touristen". Aber, wir wollen uns auch ein Weltkulturerbe, die Jesuiten-Reduktion in Trinidad, ansehen. Mit dem internationalen Pendlerbus machen wir uns von Argentinien aus über den Río Paraná auf den Weg. An den Grenzstationen in Argentinien und Paraguay, an denen uns der Bus rausschmeißt, spielen wir das uns schon bekannte Stempel-raus-Stempel-rein-Spiel. Immer irgendwie ein bisschen anders, immer irgendwie ein bisschen verwirrend, aber bisher auch immer von Erfolg gekrönt. Auf der anderen Seite des Flusses, in Encarnación, dann erst einmal die Sinne sortieren. Denn hier ist schlagartig alles anders. Viele Straßen bestehen aus rotem Lehm und Sand. Alles, was in den Läden der Grenzstadt verkauft wird, sieht so aus, als ob es irgendwo vom Laster gefallen wäre. Die Häuser und Autos sind dreckig, rostig und heruntergekommen. Die hohe Luftfeuchtigkeit ist erdrückend und die Menschen wuselig. Aber glücklich! Sogar die glücklichsten und fröhlichsten Menschen weltweit. So zumindest das Ergebnis einer internationalen Studie. Ein optimistisches Volk angesichts des dort herrschenden Standards. Für uns - ganz ehrlich - kaum vorstellbar. Ich vergewaltige mal wieder aufs Äußerste die spanische Sprache, um den Stadtbus nach Trinidad zu finden. Doch es funktioniert und die Menschen nehmen es mir nicht übel. Beginnen sogar ein Gespräch über die sehr geschätzte Angela Merkel und fragen interessiert nach der Flüchtlingssituation in Deutschland. Kaum sind wir aus der Stadt raus, beginnt der Urwald. Die wahre grüne Hölle. Es ist schwül und heiß. Rechts und links der Straße sehen wir einen undurchdringbaren Mix aus unbekannten Laubbäumen, Nadelbäumen, Farnen, Lianen, Palmen, Gräsern, Mate-Feldern, Mango- und Papaya-Bäume … Nach einer Stunde kommen wir an den Jesuitenreduktion "La Santísima Trinidad de Paraná" an. Es ist beeindruckend, wie viel von der 1706 gegründeten Mission - Glockenturm, Kanzel, Taufbecken - noch erhalten ist. Wir sind fast die einzigen Besucher vor Ort, was den Gang durch das Weltkulturerbe mitten im Grün von Paraguay zu einem beeindruckenden und ruhigen Moment werden lässt.Auf dem Rückweg im Bus, den wir mal wieder professionell auf der Straße herangewunken haben, regnet es in Strömen. Endlich lässt die Schwüle nach. In Nullkommanix werden die Straßen zu rostfarbene Sturzbäche. Wir sind platt und wollen nur noch nach Hause, das heißt zurück nach Posadas, Argentinien. Der Bus passiert die Brücke über den Río Pananá. Wir denken noch: 'Hmmm, war das nicht eben die paraguayische Grenzstation?' Aber wir tuckern einfach weiter bis zur argentinischen Grenze auf der anderen Seite des Flusses. Dort angekommen, machen uns die argentinische Grenzbeamten darauf aufmerksam, dass wir den Ausreisestempel von Paraguay verpasst haben. Ja, das haben wir auch schon befürchtet. Aber der Bus hat ja nicht angehalten. Alle Beteiligten - sowohl die Grenzbeamten, als auch Thurid und ich - nehmen's gelassen. Dann sind wir eben illegal ausgereist. Solange wir nicht wieder nach Paraguay einreisen wollen, interessiert es nicht, und sobald wir einen neuen Reisepass haben, ist die Sache vom Tisch, denn elektronische Datenerfassung gibt es dort nicht. Und bei unserer anstehenden Einreise nach Brasilien schmeißen wir uns an der Grenze eben einfach aus dem fahrenden Bus. Vielleicht stehen deshalb auch die Türen immer offen…
La Boca ist gerne mal ein lautes Viertel. Zum Beispiel, wenn jedes Jahr am 12.12. Jung wie Alt Richtung Traditionsstadion "La Bombonera" strömt. Hier feierte einst Diego Maradona seine größten spielerischen Erfolge. Doch am 12.12. wird keine Mannschaft angefeuert. An diesem Tag feiert sich die CABJ-Fangemeinde, "der 12. Mann" hinter der Mannschaft, einfach mal selbst: Feuerwerk, Pfeifen, Hupen, scheppernde Musik. Da lässt sich der lärmerprobte Großstädter nicht lumpen! Aber auch der hundsgemeine Alltag von La Boca ist schon kräftig laut: Tagsüber, wenn die vielen Busse und Lastwagen mit stattlichen Geschwindigkeit über den kaputten Asphalt knallen und mit dem Donnern der Achsen und dem Fauchen der Motoren das Haus zum Beben bringen. Nachts, wenn die Straßen zur Grillparty- und Diskussionsmeile avancieren: Erst vor dem Haus auf der Straße Grill und Planschbecken aufstellen und zu fortgeschrittener Stunde die Betrunkenen und diejenigen, die etwas zu sagen haben (also die Betrunkenen), ins Feld schicken, um lautstark mit dem Kioskbesitzer nebenan über Gemüsepreise und Co. zu diskutieren. Vergleichsweise auf Samtpfoten schleichen hingegen die Polizeiautos Tag und Nacht nonstop durch La Boca. Auf Streife ist zwar immer das Blaulicht an, um zu erinnern "Wir sind hier, kommt bloß nicht auf dumme Gedanken". Martinshorn hört man hingegen eher selten. Auch wenn La Boca als kriminelles Pflaster von Buenos Aires in Verruf geraten ist, fühlen wir uns hier doch ziemlich sicher und wohl. Bei einem nächtlichen Streifzug durch den bunten La-Boca-Bezirk "Camilito" trifft man zwar an jeder Ecke etwas schmuddelig und finster aussehende Gestalten. Da man uns "Alemanas" seit einigen Tagen in dem Bezirk aber schon wahrgenommen hat, werden wir in der Regel freundlich gegrüßt und gewarnt, dass wir ja auf unsere Taschen aufpassen sollen. Im Moment ist es Dienstag, 20:15. Draußen vor dem Balkon unserer Wohnung formieren sich unsere Nachbarn. Es reicht! Es wird gescheppert, gerasselt, gehupt und gepfiffen, was das Zeug hält. Ein lautstarkes Zeichen des Protests. Denn seit Tagen fällt in den Häusern von La Boca immer wieder für mehrere Stunden oder auch Tage Wasser und Strom aus. Auch uns hat es in 3 Tagen zweimal erwischt: Zuerst gab es keinen Strom für 2 Tage. Dann war er plötzlich wieder da. Dann fielen Wasser und Strom gleichzeitig aus. Wie lange sowas dauert? Schwer zu sagen, meint unser Hausherr "Federico". Im Sommer kann sich der Zustand bis zu 2 Wochen hinzieht. Läden bleiben geschlossen, da Kühltruhen, Wäschereien und Waschanlagen nicht mehr laufen. Der ohnehin schon schwer muffige Bezirk stinkt 20 Blocks gegen den Wind bis nach "San Telmo" rein. Da wir "Touris" morgen schon wieder weiterreisen, können wir es gelassen nehmen: Wir freuen uns über den Gasherd, durch dessen Hilfe wir unser Abendessen vom Vortag aufwärmen können. Als Lichtquellen dienen Handy, ebook-Reader und Kerzen. Der 3. Advent ist ja auch schließlich schon durch. Und plötzlich, nach ungefähr 30 Minuten lautstarkem Protest auf der Hauptstraße, springen Licht und Stereoanlage gleichzeitig an. Wir hören, wie sich der Spülkasten der Toilette mit Wasser füllt. Und so langsam kehrt Ruhe ein in den Straßen von La Boca. Oder so was Ähnliches …
Nach ein paar heißen und hektischen Tage in Buenos Aires steht fest: Wir sind urlaubsreif. Also verlassen wir die Großstadt für 2 Tage, um uns in Uruguay zu erholen und die vom vielen Marschieren auf unebenen Straßen ermüdeten Beine zu entspannen. "Colonia del Sacramento" (Uruguay), nur 45 Kilometer entfernt auf der andere Seite des Rio de la Plata, ist für die Bewohner von Buenos Aires beliebtes Kurzurlaubsziel. Alles läuft dort sehr viel ruhiger, relaxter und entschleunigt. Super Sache, denken wir uns, buchen die langsamere Fähre nach Colonia, die drei Stunden anstatt einer zum Übersetzen benötigt, um gleich mal in den "slow flow" zu kommen. Beim Kauf des Fährtickets wieder eine Überraschung in Sachen Geldangelegenheiten: Als Ausländer ("extranjero") dürfen wir die Tickets nur in US Dollar bezahlen. Argentinische und uruguayische Pesos oder Kreditkarte werden von uns nicht akzeptiert. US Dollar? Häääähh? Aber wir sind doch aus Deutschland. Ach so! Na, Euro geht natürlich auch …. Nicht das erste und definitiv nicht das letzte Mal, dass wir uns über den Umgang mit Geld und Währung und "Wert" wundern. Ganz pragmatisch verläuft hingegen die Aus- und Einreise von Argentinien nach Uruguay: Ein Mal vortreten bitte. Der argentinischen Dame am Schalter den Pass überreichen. Stempel "Argentinien raus" - zack. Dann wird der Pass von Argentinien am gleichen Schalter der Kollegin aus Uruguay durchgereicht. Stempel "Uruguay rein" - zack. Damit wären die Einreiseformalitäten für unseren Kurztrip ins Nachbarland erledigt. 3 Stunden später finden wir uns in einer völlig neuen Umgebung wieder. Colonia ist ein kleines idyllisches Juwel. Alles sieht aus wie auf einer griechischen oder portugiesischen Insel. Schöne alte Autos und ein Meer von Blüten - Hortensien, Flieder, Hibiskus - und Palmen zieren die kopfsteingepflasterten Straßen der malerischen Altstadt. Es duftet nach Frühling und fühlt sich an wie Sommer. Das Klima erinnert an einen perfekten Tag am Mittelmeer: hochsommerlich warm, aber herrlich frische Luft. Wir passen uns der Umgebung an und machen den ganzen Tag nichts anderes, als am Strand des Flussufers rumhängen, lesen, Eis essen, schlendern, das Nationalgetränk verkosten: Pilsen-Bier aus 1-Liter-Flaschen - Urlaub eben. Und wir tappen von einer monetären Touristen-Falle in die nächste, denn was die Bezahlmodalitäten angeht, herrscht totale Verwirrung. Folgendes haben wir herausbekommen: Beim Essengehen sollte man als Ausländer am besten mit Kreditkarte zahlen. Denn dort bekommt man in der Regel die 18 % Mehrwertsteuer abgezogen. Beim Supermarkt ist Kreditkarte auch nicht verkehrt. Manchmal muss man für die Authentifizierung allerdings den Reisepass vorzeigen - manchmal nicht. Beim Abheben von uruguayischen Pesos am Bankautomaten verlangt die uruguayische Bank pauschal 5,50 Euro Gebühr. Es lohnt also im Allgemeinen nicht, wenn man für 2 Tage vor Ort Geld abhebt. Läden oder Cafés akzeptieren neben der Nationalwährung auch argentinische Pesos, US Dollars und manchmal Euro. Man sollte sich aber vorher den Umrechnungsbetrag mitteilen lassen. Denn man kann mit fremder Währung bis zu 60 % mehr bezahlen oder man bekommt einen fairen Umrechnungskurs. You never know … Bis wir all das rausbekommen, müssen wir finanziell etwas bluten. Aber das ist nicht, was von unserem Kurztrip nach Uruguay hängen bleiben soll. Viel mehr brennt sich im Gedächtnis der wunderschöne Sonnenuntergang ein, den wir jeden Abend am Rio de la Plata zusammen mit Einheimischen bewundern. Und wenn man genau hinsieht, kann man sogar die Skyline von Buenos Aires sehen.
Reisen kann schon auch manchmal ein bisschen anstrengend sein. Wenn man beispielsweise nach einer 20-stündigen Fahrt mit dem Bus von Chiloé (Chile) über Santiago de Chile (nur kurz ausgestiegen, gewunken und mit dem nächsten Bus weitergefahren) in Mendoza (Argentinien) ankommt. Das Hostel mit der Bewertung 9,0 "Hervorragend" entpuppt sich als Friedhof der Unterhosen. An jeder möglichen wie unmöglichen Stelle sind Boxershorts begraben, die ihre beste Zeit schon hinter sich haben. Zum Beispiel auf der Mikrowelle, im Brotkasten und zur Begrüßung im Regal an der Rezeption. Mein Zimmer wird kurz nach Ankunft von einer kaputten Dusche geflutet. Ist aber dafür danach in Teilen halbwegs sauber. Also mache ich, was jeder vernünftige Mensch tun würde: Ich wechsele am Busbahnhof eine ordentliche Portion argentinische Pesos und ziehe den ganzen Tag durch Cafés und Restaurants. Mendoza ist Ausgangspunkt für Aconcagua-Bergsteiger. Den höchsten Berg Südamerikas konnte ich bei meiner atemberaubenden Busfahrt von Santiago nach Mendoza über den Paso de la Cumbre bestaunen. Wobei ich zugeben muss, dass ich beinahe daran vorbeigefahren wäre, ohne ihn zu bemerken. Eher zufällig schieße ich während der Fahrt ein Bild des Ü-6900ers, vergleiche es später mit Bildern im Internet und voilá, er war es. Bei der Fahrt über die Anden sehe ich roten Sand und gelben Stein, hohe Canyons und Berge, die aus nur einem Stück Fels zu bestehen scheinen. Eine Landschaft, die ich so noch nicht gesehen habe. Insofern hat sich der Weg nach Mendoza gelohnt. Mendoza selbst eher nicht. Also trete ich asap die nächste 15-Stunden-Nachtfahrt mit dem Bus "full cama" nach Buenos Aires an. Hier zeigt sich, dass das Universum doch immer einen gerechten Ausgleich parat hat: Das in "BA" gebuchte Privatzimmer im Stadtteil "La Boca" entpuppt sich als 6er im Lotto! Die Wohnung im Berlin-Altbau- und Lagerhaus-Stil ist genauso charmant wie der argentinische Gastgeber mit deutschen Wurzeln urgroßväterlicherseits. Gratis gib es Patchwork-Familien- und Freundeskreisanschluss: Denn die argentinischen Kumpels nehmen einen sofort in der Runde auf und auch meine liebe Freundin Thurid ist aus Deutschland dazugestoßen, um einige Wochen mitzureisen. Beim gemeinsamen Grillen auf dem "Rooftop" will man natürlich wissen, wie es um den deutschen Fußball steht, warum Lufthansa die "German Wings"-Katastrophe nicht verhindert hat und, der Klassiker: German Nazis und Hitlers Beziehung zu "Volkswagen". Das Leben in Buenos Aires ist quirlig und aufregend! Alte, aber größtenteils gut erhaltene Kolonialbauten, Retro-Busse und goldene Laternen machen das Bild der Innenstadt aus. In den Rand-Bezirken finden sich laute, etwas schmuddelige, aber gleichermaßen bunte und sympathische Stadtteile wie La Boca, sowie der neue, reiche und glänzende, aber gleichzeitig auch etwas sterile Bezirk Puerto Madero. Fazit: In BA is was los und für jeden was dabei. Für Thurid und mich geht's erst einmal weiter auf einen Abstecher nach Uruguay zum Urlauben. Denn so ein Großstadtleben ist doch auch schon ganz schön anstrengend …
… dass Du für jedes noch so absurde Problem eine meist noch absurdere, aber pragmatische Lösung parat hast.
… für den lebendigen Beweis, dass "hübsch-hässlich" kein Widerspruch ist. Genauso wenig wie "freundliches Hupen".
… für den Wiiiinnnnd, der jede Wettervorhersage alt aussehen lässt.
… für all die wunderbaren, entspannten Weggefährten, die ich hier kennengelernt habe und die meine Leidenschaft für Wandern, Berge und Natur teilen.
… dass Du tagtäglich vorlebst, wie aufrichtige Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Solidarität funktionieren.
… dass Du mir in Puerto Natales ein Heim für eine Woche gegeben hast, in einer Zeit in der ich erschöpft war und das gebraucht habe.
… für jeden einzelnen Panoramablick. Leider habe ich die Panorama-Bildfunktion auf meinem Handy erst nach Patagonien zufällig beim "Langweilen" auf der NAVIMAG entdeckt.
… dafür, dass ich mir nicht - trotz der ungünstigen Kombination aus Rumglotzen und sich plötzlich auftuenden Löchern auf Straße und Gehweg - beide Haxen gebrochen habe.
Ich lerne die Chilenos als ein aufrichtig freundliches und zuvorkommendes, bemühtes, aufmerksames und 100%ig solidarisches Volk kennen. Wer Dir hier etwas Gutes tut, erwartet keinerlei Gegenleistung. Man kann mit geschlossenen Augen über eine rote Ampel laufen und sich sicher sein, dass die Autofahrer halten werden, einem wahrscheinlich noch freundlich zulächeln und -winken. Was man dann natürlich nicht sieht, weil die Augen ja geschlossen sind. Aber genau so würde das laufen. Wie entspannt und zufrieden die Chilenen sind, erlebe ich auch auf einer nächtlichen Busfahrt von Puerto Varas zurück zu meiner Unterkunft in Puerto Montt: Unser Busfahrer sammelt jeden einzelnen Fahrgast von der Straße auf - niemand wird stehen gelassen, denn es ja auch schon spät. Mit einer freundlichen Ansage bittet der Busfahrer die Fahrgäste im Mittelgang, doch noch etwas weiter zusammenzurücken. Die Chilenos bringt nichts aus der Ruhe: Tetris-artig verkeilt man sich mit einem milden Lächeln im Gesicht immer weiter ineinander und denkt wahrscheinlich: 'Ach, das nächste mal bin ich derjenige, der von vorne nachdrückt. Geht schon.' Und so gibt es auch kein Murren und Knurren, sondern begeistertes Lachen, als ein Fahrgast den Bus an seinem Stopp durchs Fenster verlässt. Wenn man sich in Chile so umschaut, ist alles ein bisschen, naja ziemlich "wüscht": Die Häuser (meine Herren!): abgeranzt. Die Autos: abgefuckt. Die Hunde (die hier quasi jede Stadt regieren): erbärmlich. Aber dennoch versprühen Chile und die Chilenen einen unglaublichen Charme, Sympathie und Freundlichkeit. Gepaart mit der atemberaubenden Landschaft, in der man sich am Ursprung der Welt zu befinden scheint, ist der Weg zur inneren Ruhe und Entspannung nicht weit.
Puerto Natales, der Nationalpark Torres del Paine, das Wild Hostel und alle Menschen, die ich dort kennengelernt habe, haben mir für kurze Zeit ein wahres Zuhause gegeben. Das in einer Zeit, in
der ich die ersten Reiseerschöpfungserscheinungen gezeigt habe. Nach einigen Tagen spüre ich jedoch, dass ich nun ganz schnell weiterziehen muss, sonst würde ich am südlichen Ende der Welt wohl
noch hängenbleiben. Zum Glück wartet bereits das nächste Abenteuer um die Ecke: Mit der NAVIMAG-Fähre mache ich mich auf den Weg nach Puerto Montt (Chile) in 4 Tagen und 4 Nächten. In den ersten
2 Tagen quetschen wir uns zum Teil durch engste Fjorde: In einem besonderen Nadelöhr manövriert der Capitan unser 24 Meter breites Schiff durch eine 80 Meter breite Passage. Da sind trotz Wind
und Regen alle 80 Passagiere an Deck und drücken die Daumen. Jeden Tag gibt es eine Präsentation an Bord zu den Themen Kultur, Flora und Fauna dieser patagonischen Landschaft. Unser
"NAVIMAG-Animateur" sagt uns, wir werden Wale sehen, Delphine, Robben, jede Menge einheimische Vögel und Vulkane. Ach ja, und wann kommen die Dinosaurier? Der Ausblick rechts und links - ähhh
Steuerbord und Backbord - erinnert tatsächlich an Jurassic Park. Nach 2 Tagen erreichen wir den Golfo de Penas und beginnen unsere Passage über das offene Meer. Die nun bevorstehende rund
20-stündige Tour durch den Südpazifik ist nichts für Landeier: Bis zu 4 Meter hohe Wellen aus 10 Uhr schaukeln die Nautik-Neulinge ganz gut durch und machen das Gehen in engen Gängen, Duschen und
Mikado-Spielen eher schwierig. Das Klirren und Scheppern aus der Kombüse lässt mich vermuten, dass zum Abendessen wohl nur Müsliriegel und Chips serviert werden. Aber dann zaubert der Koch doch
noch eine Portion Spaghetti mit Sauce auf die Teller der Passagiere, die nicht schon in der Waagerechten liegen, sondern es zum Abendessen schaffen. Und unsere NAVIMAG ächzt und faucht und knarzt
sich weiter durch die Nacht und durch den Südpazifischen Ozean. Alle Menschen, die ich an Bord kennenlerne, sind extrem entspannt. Wer auf der NAVIMAG mitreist, muss in der Lage sein, sich im
positivsten Sinne zu langweilen: 8:30 Frühstück, dann ein bisschen UNO spielen, 12:30 Mittagessen, dann ein bisschen lesen und der spannenden Nachmittagspräsentation lauschen, 19:30 Abendessen.
Wer dann noch zum allgemeinen Übelkeitsgefühl beitragen möchte, kann ab 22 Uhr bei Karaoke mitmachen. Ich verbringe die meiste Zeit auf einem Fenstersims im Mensa-Raum, starre einfach nur aufs
Wasser und beobachte stundenlang die Wellen. Ich sehe ein paar Robben und Delphine in der Ferne und zu Beginn der Reise sogar zwei Buckelwale. Friede und Entspannung pur. Größte Freude und
Entertainment verschaffen mir jedoch die Albatrosse, die mit einer unvergleichlichen Eleganz mit ihren 3 Metern Flügelspannweite 20 cm über das Wasser gleiten und dabei keinen einzigen
Flügelschlag machen. Etwas schwerer - so lernen wir an Bord - hat es hingegen eine einheimische patagonische Ente: sie wurde von der Natur mit nur sehr kurzen Stummelflügelchen bedacht, was das
Fliegen unmöglich macht und ihr den Namen "die Nicht-fliegende Dampfschiffente" einbringt. Die Evolution hat dann allerdings dafür gesorgt, dass die Ente auf besonders großem Fuß lebt. Mit diesen
Riesen-Flossen kann die Nicht-fliegende Dampfschiffente so schnell laufen, dass sie über das Wasser rennt - und zwar mit einer Geschwindigkeit, mit der sie unsere 14 Knoten schnelle Fähre ganz
ohne Probleme abhängen kann. Am letzten Abend wird es dann doch noch mal spannend: Das gemeinschaftliche Mega-Highlight lautet "Bord-Bingo", bei dem ich doch tatsächliche ein T-Shirt … ääähhh
-Kleid… gewinne. Ich habe mir mal gedacht, dass ich diese Reise auch mache, um mich im Alter an all die schönen Dinge erinnern zu können. Quasi als Vorbereitung fürs Altersheim. Und einschlägige
Bingo-Erfahrungen können da natürlich auch nicht schaden.
Patagonien ist wild und weit. Patagonien ist windig und kalt. Eisgeruch der am Horizont sich auftürmenden Gletscher in der Nase und chilenische Flamingos direkt vor der Nase. Das ist einfach einmalig. Hunderte kilometerweite Einöde und Steppe in jede Richtung. Ich fühle mich hier beschützt und glücklich.
Nach mehreren anstrengenden Reisetagen komme ich endlich am unteren Ende des südamerikanischen Kontinents an. Der lange Trip lässt mich auf Anhieb mein Reiseziel auf besondere Weise schätzen. El
Calafate ist für den Geldbeutel allerdings zunächst einmal ein großer Schock. Ein Bier: 11 Euro. Ein Tagesausflug zum Perito-Moreno-Gletscher: 180 Euro. Ein einfaches Zimmer mit furchtbarem
Frühstück und Plastikbesteck: 85 Euro. Die Preise vor Ort sind das Vierfache von dem, was der "Lonely Planet" behauptet. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage hat man "austral" wohl ziemlich gut
und schnell verstanden. Trotzdem ist das, was ich hier erlebe, in gewisser Weise doch unbezahlbar. Die Begegnung mit dem 30 Kilometer langen und an der Gletscherkante 70 Meter hohen
Perito-Moreno-Gletscher überrascht die Sinne auf vielfältige Weise: Das Eis zeigt sich zum Teil tiefblau - insbesondere, wenn es bewölkt ist und in den Gletscherrissen, an die kein Licht kommt.
Im Minutentakt stürzen auto- bis hausgroße 400 Jahre alte Eisbrocken in den Lago de Argentina. Ein Kanonenschlag, ein sekundenlanger Donnergroll und dann bewegt sich die kleine Flutwelle auf dem
Lago in Richtung der staunenden Zuschauer auf der gegenüberliegenden Peninsula. Das Spektakel wird man wohl glücklicherweise noch lange Zeit bestaunen können, denn der Perito-Morino-Gletscher ist
stabil, das heißt, die 2 Meter Abriss, die er jeden Tag verliert, wächst er in der selben Zeit "von oben nach". Aufgrund der wohl maximal noch für Schweizer erträglichen Preise in El Calafate
geht meine Reise mit dem Bus bereits nach 3 Tagen weiter in Richtung Chile.
Im "Wild Hostel" in Puerto Natales fühle ich mich auf Anhieb wohl. Denn hier trifft man jede Menge Gleichgesinnte. Naturfreunde. Trekkig-Liebhaber. Und man hilft sich gegenseitig aus: Einem
Schotten, der gerade auf den Weg zu einer Tour ist und merkt, dass sein Kamera-Speicher voll ist, gebe ich eine meiner SD-Karten. Ein Amerikaner bemerkt am Morgen des Aufbruchs zu seiner
mehrtägigen Wanderung im Nationalpark, dass er noch eine wasserdichte Tasche braucht. Also bekommt er eine von mir. Denn ich weiß, auch wenn ich SD-Karte und Tasche nicht wiederbekomme, werde ich
"es" schon irgendwie zurückkriegen. Und tatsächlich: Am Frühstückstisch bekommen zwei Amerikaner mit, dass ich am nächsten Tag auf eine Wanderung in den Nationalpark "Torres del Paine" aufbrechen
möchte, und bieten an: "Hey, wir haben ein Auto und wir planen dieselbe Tour. Wir können Dich mitnehmen und zusammen gehen." Bitteschön: Travelling at its best!
Der Tragödie erster Teil:
Schauplatz: Irgendwo im Nirgendwo zwischen El Calafate (Argentinien) und Puerto Natales (Chile)
Bei der rund 400 kilometerlangen Reise auf der Straße von El Calafate (Argentinien) nach Puerto Natales (Chile) kommt uns nur etwa einmal pro Stunde ein Auto entgegen. Klare Sache für unseren Busfahrer, dass er mit dem 3. Auto mal ein Schwätzchen halten muss. Dumm nur, wenn er dafür "rechts ranfährt" - Wieso eigentlich … ? Es kommt doch sowieso kein anderes Auto - und zu spät realisiert, dass der Kies am Straßenrand nicht wirklich das Gewicht des Busses halten kann. Also sinken wir rechtsseitig bis zur Radmitte im Schotter ein und neigen uns Richtung Straßengraben. Noch blöder allerdings, wenn sich der Bus bei der Blitz-Evakuierung immer weiter Richtung Straßengraben neigt. Also: Schnell Tür zu und 10 arme Touristen-Würstchen müssen sich sicherheitshalber nach links setzen. Zum Teil mit bloßen Händen versuchen die chilenischen Gesprächspartner die Räder des Busses auszugraben und bringen sich damit - meiner Einschätzung nach - in Lebensgefahr, denn der Bus wankt doch nicht schlecht. Die Touristen schauen vom gebührenden Sicherheitsabstand aus ungläubig - ähhh, wieso genau sind wir hier noch mal stehengeblieben? - und zücken die Kameras zur lückenlosen Dokumentation des Vorfalls. Man merkt am Vorgehen recht schnell, dass unser wackeres argentinisches Rettungsteam nicht gerade aus ausgetüftelten Ingenieuren besteht. Doch nach mehreren Versuchen mit diversen Abschleppstangen schafft man es dann doch nach rund 30 Minuten, die Physik, die Schwerkraft und "common sense" zu überlisten und den Bus behutsam aus dem Straßengraben zu ziehen. Und dann geht wieder alles ganz schnell: hop-hop-hop rein in den Bus und weiter geht es Richtung chilenische Grenze. Nicht, dass die Zentrale von dem unglücklichen Schwätzchen des Fahrers erfährt.
Der Tragödie zweiter Teil:
Schauplatz: Banco de Chile, Puerto Natales
Ich bin paranoid, wirklich, wirklich paranoid mit allem, was ich zum Reisen unbedingt benötige: Reisepass, Kreditkarten, Handy, Geldbeutel behüte ich wie meinen Augapfel. Allerdings hatte ich nicht mit der Schnelligkeit der "Banco de Chile" gerechnet. Die Langsamen bestraft der Bankautomat. Beim Abheben meiner ersten chilenischen Pesos in Puerto Natales ziehe ich gerade mein Geld aus dem Bankautomaten, dann die Quittung, verstaue alles gewissenhaft in meiner Tasche, und staune im nächsten Moment doch nicht schlecht, als sich der Bankautomat plötzlich mit einem "schlupp" meine Kreditkarte einverleibt … Äääähhhh?!?!? Die Banco: geschlossen. Im Hostel erfahre ich, dass chilenische Bankautomaten immer 15 Sekunden nach Geldausgabe die Geldkarte ohne Vorwarnung einziehen, wenn man sie bis dahin nicht schnell rausgefischt hat. Am nächsten Tag trabe ich also wieder zur Banco de Chile und bin recht froh, dass ich mit meinen paar Brocken Spanisch die Situation glasklar darstellen kann. Ich soll um 14 Uhr wieder kommen. Dann um 15. Dann um 16. Kurz bevor ich soweit bin, dem Bankangestellten ins Gesicht zu springen, wird mir freudestrahlend eine Kopie meiner Kreditkarte selbigem entgegengestreckt. Ja, der Automat hat sich die Karte als kleines Frühstück gegönnt. Wunderbar, her damit! Nein, die Karte kann ich nicht wiederbekommen. Ähhhh, wie bitte? Man wisse ja nicht, warum der Automat die Karte geschluckt hat. Vielleicht steckt ein Betrugsversuch dahinter. Neee, der blöde Automat hat mich einfach nur ganz hinterrücks abgelenkt und abgezockt …!!! Ist egal, die Karte wird jetzt erstmal in den Hauptsitz nach Santiago de Chile geschickt. Dann kann ja meine Bank mit dem Hauptsitz Kontakt aufnehmen und dann steht in den Sternen, wie es weitergeht. WHAT THE F***?!? Kein 'Senor, por favor, ayudame!!!' hilft an dieser Stelle. Die Karte ist futsch. Und wie geht es mir damit? Innerlich amüsiere ich mich doch königlich über diese chilenische Anekdote. Ich bin tiefenentspannt, denn ich habe noch eine zweite Kreditkarte dabei. Und ich freue mich, da meine liebe Thurid die bereits neu bei der deutschen Bank angeforderte Kreditkarte in zwei Wochen nach Buenos Aires mitbringen kann. Fazit: Ich hätte die Kreditkarte zu keiner besseren Zeit, an keinem besseren Ort auf keine bessere Weise "verlieren" können. Und am Ende wird sowieso alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das ENDE!